Inflation – Geldpolitik: the „new old normal“

Weltweit macht sich die Erkenntnis breit, dass die Inflation doch nicht so schnell verschwinden wird. Zumindest in Deutschland werden fallende Preise in einzelnen Segmenten gleich wieder in eine allgemein fallende Inflation umgemünzt (s. nur hier). Eine nicht ungefährliche Schönfärberei.

Deutschland: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/09/PD23_355_611.html

Die Inflationsrate verharrte im August 2023 bei 6,1% (YoY). Während die Großhandelspreise insgesamt abnahmen, stiegen die Preise z.B. für Lebensmittel um bis zu 22,3% (hier).

Aber nicht nur die steigenden Lohnkosten dürften die Inflation weiter oben halten, wenn nicht sogar antreiben, nein auch ein erneut steigender Ölpreis (näheres hier und hier), die erhöhten Kosten im Emissionshandel (hier) und die kommende Verdoppelung der LKW-Maut (hier) wie auch die schon vorbezeichneten teils exorbitanten Preissteigerungen für Lebensmittel (für Orangen s. nur hier) werden ihren Teil dazu beitragen, dass die Inflation in den nächsten Monaten nicht sinken dürfte.

Eurozone: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Inflation_in_the_euro_area

Auch in der Eurozone soll sich der Preisanstieg im August 2023 bei 5,3% stabilisiert haben.  Zwar erhöhte die EZB den Leitzins in der vergangenen Woche um noch einmal 0,25% auf jetzt 4,5 % und damit auf einen Rekordwert (hier), allgemein wird jetzt jedoch davon ausgegangen, dass diese zehnte Erhöhung in Folge auch die letzte war (hier). Nunmehr scheint sich die EZB darauf zu konzentrieren, die in den Markt „geschossene“ Liquidität wieder abzuziehen (hier).

UK: https://www.cnbc.com/2023/09/20/uk-inflation-dips-to-6point7percent-below-expectations-as-food-prices-ease.html

Die Inflationsrate im Vereinigten Königreich sinkt unerwarteter Weise von 6,8% im Juli auf 6,7% im August 2023, was die BoE – mit sehr knapper Mehrheit – dazu bewog, den Leitzins nach 14 Erhöhungen nicht zu erhöhen, sondern bei 5,25% zu belassen (hier und hier). Die Entscheidung mag davon beeinflusst sein, dass das UK-BIP im Juli 2023 um weitere 0,5% gefallen ist (hier).

Schweiz: https://www.cash.ch/news/top-news/inflation-in-der-schweiz-verharrt-im-august-bei-16-prozent-633408

Auch in der Schweiz verharrt die Inflationsrate im August 2023 bei 1,6% – also deutlich unterhalb der Zielmarke von 2,0%. Nicht ganz überraschend belässt die SNB den Leitzins bei 1,75% (hier).

Türkei: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/tuerkei-inflation-august-100.html

Nachdem die Inflationsrate in der Türkei bereits im Juli um über 37% gestiegen war, ist sie im August 2023 auf 60% gestiegen. Dabei hatte die türkische Zentralbank den Leitzins im August zum dritten Mal in Folge mit 7,5% auf zunächst 25% sogar über die Markterwartungen hinaus angehoben (hier). Im September hat sie den Leitzins dann um weitere 5% auf 30 (!) Prozent erhöht (hier).

USA: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/usa-inflation-verbraucherpreise-zinsen-100.html

Nachdem die Inflationsrate in den USA bereits im Juli auf 3,2% zugelegt hatte, stieg sie im August 2023 auf 3,7%. Allerdings sank die Kerninflation von 4,7% im Juli auf 4,3% im August – was als Zeichen einer sich abschwächenden Inflationsentwicklung gewertet wird. Derweil hat die Fed den Leitzins in ihrer Sitzung am Mittwoch den Leitzins weiterhin in der Spanne von 5,25 bis 5,5 Prozent belassen (hier). Sie zieht aber weiterhin Liquidität aus den Märkten (hier).

Fazit: Die Inflation bleibt – mit Ausnahme der Schweiz – weiterhin weltweit ein Sorgenkind, auch wenn die explosionsartige Entwicklung in der Türkei glücklicherweise die Ausnahme bleibt. Creditreform arbeitet in einem sehr lesenswerten Beitrag (hier, leider hinter Paywall, aber auch in ZInsO 2023, 1862) gut heraus, dass uns vielleicht nicht die Hyperinflation droht, dass aber nunmehr Geld wieder einen Preis hat. Das „neue neue Normal“ ist damit das „alte Normal“ aus den Jahren vor der Finanzkrise, im Zweifel sogar vor dem Platzen der „New Economy“-Blase. Und – jenseits einzelner Zinsschritte der Zentralbanken – dürfte dieses „alte Normal“ auch für eine längere Zeit erhalten bleiben, jedenfalls dann, wenn die Zentralbanken aus der Inflationsentwicklung in den USA in den 70er Jahren (s. dazu die eindrucksvolle Grafik hier) etwas gelernt haben.

Denn damals wie jetzt droht eine „zweite Welle“ der Inflation – gespeist durch Lohnerhöhungen, die auf die Inflationsentwicklung reagieren. Beispielhaft dafür steht die schon fast maßlos zu nennende Forderung der IG Metall, die eine Lohnerhöhung von 8,5% bei Einführung einer 4-Tage-Woche fordert (hier). Sollten derartige Lohnerhöhungen Schule machen – was beim derzeitigen Fachkräftemangel nicht ausgeschlossen erscheint – dann dreht sich die „Lohn-Preis-Spirale“ weiter und dürfte nur noch durch eine (kräftige?) Rezession gestoppt werden können. Wir müssen nicht darüber diskutieren, was für wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen eine erst stark steigende Inflation, eine darauf folgende Rezession bei einer – durch steigende Zinskosten (s. nur hier) für die hohen Schulden – gehandicappten Finanzpolitik (hier) haben dürften – auch politisch. Da ist es dann eher kontraproduktiv, wenn die Presse (z.B. hier) die gerade stark fallenden Erzeugerpreise feiert (erneut hier), denn die gerade ablaufenden Zweitrundeneffekte dürften diese Preissenkungen  mehr als „ausgleichen“. Zudem steigt z.B. gerade z.B. der Ölpreis (hier). Damit dürften auch die Erzeugerpreise zeitnah wieder ansteigen. Einzig die im letzten Monat grob skizzierten rezessiven Tendenzen in China (hier) könnten zu deflationären Tendenzen zunächst dort und dann auch weltweit führen. 

Einzig und allein den Unternehmens-Zombies dürfte es durch die Zinserhöhungen, die bereits auf die Unternehmensfinanzierungen durchschlagen, so langsam den Garaus machen (s. hier nur die Stellungnahme des Bundesrechnungshofs zu den „Sondervermögen“ des Bundes).

Ein Gedanke zu „Inflation – Geldpolitik: the „new old normal““

  1. Hallo Herr Beissenhirtz,

    Ich bin wieder regelmässiger Konsument Ihrer Beiträge, seitdem Sie sich wieder Ihrer Kompetenz widmen.

    Zitat über die Schweiz:
    „Auch in der Schweiz verharrt die Inflationsrate im August 2023 bei 1,6% – also deutlich unterhalb der Zielmarke von 2,0%.“

    Die Schweiz hat nicht eine Zielmarke von zwei Prozent. Die Zielmarke der Schweiz ist zwischen Null und zwei Prozent. Wobei natürlich Null angestrebt wird. Es gibt ja keinen Grund überhaupt eine Geldentwertung zu haben.
    Heisst: Weil es Steuern sind, der Staat der Hauptprofiteur ist, ist die Steuerlast in den EU-Staaten gegenüber der Schweiz nochmals bedeutend höher. Nur weil es Inflation genannt wird und nicht Steuern.

    Aber vielleicht können Sie mir erklären, warum die EZB oder auch die Deutsche Bundesbank überhaupt ein Ziel von zwei Prozent haben wollen. Ausser eben noch mehr Steuern zu verlangen, ohne dass die EZB überhaupt ein Mandat zur Steuererhebung hätte.

    Und weil Sie Fachmann sind, eine Frage an die Verantwortung der Wissenschaft die Sie vertreten:
    Warum wird BIP oder GDP (EN), Produkt genannt, wenn alle, wirklich alle, wissen, dass es kein Produkt ist, sondern eine Summe?

    Produkt ist das Ergebnis einer Multiplikation. Summe dasjenige einer Addition. Und beim sogenannten BIP wird nun mal nur addiert. Es müsste also BIS und GDS heissen.
    Es werden sogar die Aufwände, die der Wirtschaftskraft direkt zuwiderlaufen, nicht abgezogen, sondern ebenfalls dazugezählt. Auch z.B. sämtliche Rechtsfälle der Klageindustrie. Man kann nur vor dem Staat klagen, was zudem noch Staatswirtschaft ist.

    Warum ist diese Wissenschaft nicht fähig sich selbst zu korrigieren? Ich halte erst dann eine Wissenschaft als Wissenschaft.
    Es wäre eigentlich mathematische Logik. Warum lässt diese Wissenschaft es zu, dass in sämtlichen Lehrbüchern der Welt nachweislich ein mathematischer Fehler gelehrt wird?

    Ich wünsche Ihnen eine ganz schöne Zeit.

    Gut trab aus der Schweiz
    Beat Leutwyler

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