Nachdem ich im letzten Monat der Inflation Lebewohl wünschte – aber eine Rezession erahnte (hier), könnten die Zentralbanken demnächst der Welle bisheriger Zinserhöhungen ebenfalls ein herzliches „Godspeed“ wünschen – auch wenn sie sich derzeit scheinbar gegenteilig positionieren (hier).
Deutschland: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_224_611.html
Nachdem die Inflationsrate in Deutschland im April bereits auf 7,2% abgesunken war, fiel sie im Mai weiter stark, nämlich auf 6,1%. Wie Jörg Krämer allerdings richtig schreibt: „Aber die Preise von Dienstleistungen werden wegen der rasch steigenden Löhne noch lange kräftig zunehmen. Dann würde die Kerninflation zunächst sinken, sich aber bei zu hohen 3,5% einpendeln.„
Berücksichtigt man, dass die Renten für 21 Mio. (!) Rentner und Rentnerinnen zum 1. Juli 2023 um 4,39% im Westen und 5,86% im Osten steigen (hier), und schließlich, dass die Krankenkassenbeiträge nächstes Jahr wieder steigen sollen (hier), die Beschäftigten im öffentlichen Dienst teilweise zweistellige Gehaltssteigerungen erzielen werden (hier, was „natürlich“ auf die Beamten und Pensionäre (!) übertragen wird!) und dass ich z.B. in Berlin die Vergleichsmiete laut Mietspiegel um über 5% erhöht hat (hier), dann beginnt man zu verstehen, was mit „Zweitrundeneffekt“ (hier) gemeint ist.
Auch im Euroraum ist die Inflation gesunken, von 7,1% im April auf 6,1% im Mai 2023.
Die EZB bleibt gleichwohl auf dem Gaspedal, was die Zinserhöhungen angeht. So erhöhte die Zentralbank ihren Zinssatz zum achten Mal in Folge auf jetzt 4,0% – so hoch waren die Zinsen seit 2008 nicht mehr (hier).
England: https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-05/inflation-grossbritannien-unter-zehn-prozent
Derweil ist in England nicht nur die Inflationsrate auf unter zehn Prozent (8,7% im April) gefallen, die englische Wirtschaft scheint zudem trotz hoher Inflation eine Rezession vermeiden zu können (hier).
Nachdem die Bank of England bereits im Mai den Leitzins auf 4,5% – und damit auf den höchsten Stand seit 2008 – angehoben hatte (hier), wird allgemein davon ausgegangen, dass die BoE den Leitzins bei ihrer Sitzung am 22. Juni weiter erhöhen wird (hier).
Die Schweiz wartet dagegen – nach schon relativ niedrigen 2,6% im April – im Mai mit einer Traum-Inflationsrate von 2,2% auf. Gleichwohl deutet die Schweizer Nationalbank weitere Zinserhöhungen an – derzeit steht der Leitzins bei mageren 1,5% (hier).
Nach offiziellen Zahlen ist die Inflation in der Türkei weiter gesunken – nach neuesten Informationen von über 44% im April auf „nur noch“ 39% im Mai 2023. Allerdings werden die offiziellen Zahlen stark bezweifelt. Gegen die offiziellen Zahlen könnte auch der stetige Wertverfall der Lira sprechen (hier). Man wird sehen, wie und ob es der neuen Chefin der türkischen Zentralbank (hier)gelingen wird, die Inflation zu senken und den Wert der Lira zu steigern.
Auch in den USA ist die Inflation weiter gefallen, von 4,9% im April auf 4,0% im Mai 2023.
Pflichtschuldigst legte die US Fed auch gleich – nach immerhin zehn Erhöhungen in Folge – eine Zinspause ein, so dass der Leitzins unverändert zwischen 5,0 und 5,25% liegt (hier). Allerdings dürfte die Zinspause nicht so ganz uneigennützig sein, denn die ungünstigeren Finanzierungsbedingungen fressen sich in den USA schon durch das Finanzsystem, wie die aktuell steigenden Zahlungsausfälle bei Junk Bonds zeigen (hier).
Fazit: Möglicherweise haben wir dauerhaft die Spitze der Inflation hinter uns gelassen, nicht nur in Deutschland. Eine andere Frage ist, wann denn die Inflation gerade in Deutschland wieder in die Nähe des Zielkorridors um die 2% kommt. Die aktuell laufende Runde von Gehalts- und Rentenerhöhungen lässt da nichts Gutes hoffen – die „Service-Inflation“ wird in eine weitere Runde treten. Egal, wie abgeschwächt der „Heizhammer“ nun letztendlich den Bundestag verlässt (s. aktuell hier), dass deswegen die Kosten des Heizens zukünftig sinken werden, scheint eher unwahrscheinlich.
Schon vor dem Hintergrund der auch oben geschilderten Preistreiber dürfte sich die Inflation in den nächsten Monaten mit weit über zwei Prozent durch das morsche Gebälk der deutschen Wirtschaft fressen. Ein Preistreiber dürfte dabei der Zinssatz für die Refinanzierung von Unternehmen sein. Bosch mag sich mit seiner Mega-Anleihe-Emission mit Zinssätzen von 3,6 und 4,3% noch relativ günstig re-finanziert haben (hier), aber nicht nur Mittelständler können von diesen Refinanzierungsbedingungen nur träumen. Bei meinen Fällen erlebe ich derzeit Refinanzierungen, die vom Zinssatz her jenseits der 7%-Marke liegen. Und das dürften keine Einzelfälle sein. Vergegenwärtigt man sich dann, dass nur die 150 im DAX, MDAX und SDAX gelisteten Unternehmen im Herbst 2022 mit insgesamt Euro 530 Mrd. verschuldet waren, so kann man die Probleme erahnen, die mit Zinserhöhungen der EZB einher gehen. Jeder Prozentpunkt (also 0,1% (!)) Zinserhöhung soll die Unternehmen nämlich laut Handelsblatt Research Institute zusätzliche Euro 5 Mrd. an Zinsen kosten – pro Jahr (hier)! Sie können sich ausrechnen, was auf die Unternehmen dank der Zinserhöhung der EZB gestern damit zukommt. Und der Dominostein nach den (Immobilien-) Unternehmen sind dann wieder die Banken
Nicht nur die EZB, sondern auch die Fed werden also weiterhin an ihrem Drahtseilakt arbeiten müssen, das Inflationsgespenst wieder in die Flasche zu bekommen, ohne einen Crash zu produzieren. Entscheidend für die Inflationsbekämpfung werden neben den Leitzinsen, auf die alle Beteiligen schauen, wie das Karnickel auf die Schlange, die Bilanzsummen der Notenbanken, die Geldmenge und das „fiskalische Verhalten“ der Staaten sein. EZB und Fed arbeiten zumindest an der Verkleinerung ihrer jeweiligen Bilanzen (hier), dagegen befindet sich die Geldmenge der EZB noch auf einem Hochplateau (hier). In Deutschland regiert zudem eine ehrgeizige Regierung, die sich in ihrem (kostentreibenden) Ausgabendrang wohl nicht bremsen lassen wird (hier) – egal, was Herr Lindner erzählt (hier). Die Ironie dabei dürfte sein, dass – nicht nur angesichts der gerade im Vergleich zu anderen EU-Staaten sehr schlechten Wachstumsaussichten (hier) – für den/die deutsche Michel*ine zumindest in den nächsten Jahren gleichwohl Schmalhans Küchenmeister bleiben dürfte. Aber gerade weil Deutschland als Wachstumslokomotive ausfällt glaube ich nicht mehr so richtig an Zinserhöhungen von Seiten der EZB. Wir werden es in den nächsten Monaten sehen.