Rezension: „Never Split the Difference“

One cannot not communicate:
Every behavior is a form of communication.
Paul Watzlawick

Anlässlich der Vorbereitung zu einem Workshop zu Verhandlungsführung habe ich „Never Split The Difference – Negotiating as if your life depended on it“ (hier) des ehemaligen FBI-Verhandlungsexperten Chris Voss gelesen. Nachfolgend eine Kurz-Rezension dieses für alle, die sich für Verhandlungsführung interessieren. Und das sind wir eigentlich alle – wenn man an das Bonmot von Paul Watzlawick denkt.

Der Titel der deutschen Übersetzung („Kompromisslos verhandeln“, hier, s. eine Kritik auch hier) des aus dem Jahre 2016 stammenden Buchs macht eher als der englische Titel klar, um was es eigentlich geht, ist aber auch etwas langweiliger. Das war es dann aber auch mit der Langeweile, denn das Buch ist auch für solche Menschen, die schon ein paar mehr Bücher über Verhandlungsführung gelesen haben, ein wahrer „Page Turner“. Nicht nur der fachliche Hintergrund des Titels, der als Umschreibung dazu dient, sich in Verhandlungen nicht vorschnell auf Vergleiche einzulassen, bzw. sie sogar schon in die Verhandlungsstrategie einzupreisen (s. dazu S. 115 f. (alle Seitenangaben beziehen sich auf die englische Ausgabe) – also eben kompromisslos zu verhandeln (womit Chris Voss nicht sagen will, dass man nicht doch bei einem Kompromiss landen kann, man sollte halt nur nicht mit ihm starten).

Gerade für Leser*innen, die sich schon länger mit Verhandlungsführung beschäftigen und – wie ich – so ihre liebe Mühe mit der in diesem Bereich allgegenwärtigen Präsenz des Harvard Negotiation Project haben (s. dazu näher hier) dürfte das Buch eine gewisse Genugtuung bereiten – schlicht weil Mr. Voss scheinbar in Harvard selber die dortigen Anwender „über den Tisch ziehen“ durfte, was er direkt am Anfang des Buchs schildert. Mr. Voss lässt sich aber zum Glück nicht zu einem simplen Harvard-Bashing herab, sondern erläutert – auch an Hand der historischen Entwicklung der Verhandlungsmethoden des FBI seit 1971 – die Evolution der Verhandlungspraxis dar (ab. S. 8). In dieser hat Harvard natürlich einen wichtigen Platz – sie war aber ihrerseits, wie die Wirtschaftswissenschaften, zu sehr von der Annahme einer angeblich bei Menschen überwiegenden Rationalität bestimmt. Wie Tversky und Kahnemann (s. nur Kahneman, „Langsames Denken, Schnelles Denken“ (hier)) aber mittlerweile nachgewiesen haben, handeln Menschen zumeist (unbewusst) emotionsgesteuert. Rein „rational“ ausgerichtete Modelle müssen deswegen an der Wirklichkeit scheitern – was Mr. Voss auch an Hand praktischer Beispiele belegt.

Zwar geht Mr. Voss in konsequenter Verfolgung seines in Anerkennung des emotionalen Charakters der Menschen aufgebauten Verhandlungsmodells auch auf die Verhandlungstypologie ein, sprich, welcher emotionale Typ sich wie in Verhandlungen verhält (ab. S. 191). Für diejenigen Leser*innen, die sich schon mal mit derartigen Profilierungsmodellen, wie DISG (hier), MBTI (hier) oder OCEAN (hier), beschäftigt haben, springt Mr. Voss mit seinen angeblich nur drei vorhandenen Verhandlungstypen („Accomodators“, „Assertive“ und „Analysts“) dann aber doch arg kurz. Die entsprechenden Darstellungen sollten eher als Merkposten für eine vertiefte Beschäftigung mit den vorgenannten Modellen verstanden werden, denn als eigenständiges Profilierungsmodell.

Dagegen sind die Grundlagen der eigentlichen Verhandlungspraxis zwar nicht neu, aber Voss stellt sie praxisnah, lebendig und schnell umsetzbar dar, dass diese Kapitel viele (trockenere Fachbücher zu ersetzen vermögen. Zwar dürfen die Buzz-Words „aktives Zuhören“ oder „Paraphrasieren“ in keinem Buch zu Verhandlungsmanagement fehlen, aber Voss bringt den Leser*innen das Verständnis für diese Grundprinzipien näher. Gerade die Erläuterungen zur „taktischen Empathie“ zeigen, wie wichtig es ist, sich von seinen eigenen Emotionalitäten so weit es geht zu entfernen, um die Motive des Gegenübers nachvollziehen zu können.

Die Aussage, „No is the start of the negotiation, not the end of it“ (S. 78) wirkt ähnlich konfrontierend wie der Titel des Buches, aber da Voss in seiner Tätigkeit beim FBI ja andauernd mit solchen Situationen konfrontiert war, wirken seine diesbezüglichen Lösungsansätze plastisch und plausibel. Als besonders interessant empfand ich zudem den Abschnitt über sog. „Calibrated Questions„, also „abgestimmte Fragen“, der mit dem Zitat „He who has learned to disagree without being disagreable has discovered the most valuable secret of negotiation.“ von Robert Eastabrock startet (S. 151). Bei diesem Verhandlungsstil stellt man die Situation aus eigener Sicht dar, überlässt dem Gegenüber aber durch eine – durch Relativierung abgemilderte – Frage selbst die Schlussfolgerung. Kombiniert mit der – wie Voss auf S. 158 ausdrücklich betont – bei Verhandlungen immer erforderlichen Selbstbeherrschung (!) zeitigt diese Verhandlungstechnik gute Erfolge.

Mehr als lehrreich ist schließlich das Kapitel über die Möglichkeiten, wie man (häufig von beiden Parteien) nicht erkannte Ereignisse oder Informationsteile (natürlich als „Black Swans“ bezeichnet (S. 213 ff.)) erkennt und nutzbar macht. Häufiger als man denkt, ist tatsächlich die eigene Angst der schwarze Schwan im Raum („It’s not the guy accross the table who scares us: it’s conflict itself„, S. 242).

Abgerundet wird das Buch durch eine Checkliste für einen „Negotiation One Sheet„, also einen Verhandlungs-Einseiter, mit dem man sich selber auf die anstehenden Verhandlungen an Hand des Sachverhaltes und der Lektionen aus dem Buch vorbereiten kann.

Fazit: Eine klare und uneingeschränkte Lese-Empfehlung für jeden, der sich für Verhandlungsführung interessiert. Das Buch gibt den aktuellen Stand von Forschung und Literatur auf diesem Themengebiet komprimiert, mit Praxisbeispielen garniert und sehr gut lesbar wieder.

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