Konnten wir in Deutschland im letzten Monat „endlich“ auch zweistellige Inflationsraten verzeichnen (hier), so vermeinen „Experten“ jetzt schon genügend Zeichen dafür im Kaffeesatz der Wirtschaft abzulesen, dass „Peak Inflation“ kurz bevorsteht oder gar schon überschritten wurde (s. nur hier der EZB-Vize).
Deutschland: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_458_611.html
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/inflation-deutschland-dynamik-101.html
Die Inflationsrate in Deutschland stieg im Oktober auf 10,4% (gegenüber 10,0% im Vormonat) an. Allerdings lesen einige Auguren aus den Wirtschaftsdaten, dass die Inflationsrate jetzt oder zumindest demnächst ihren Höhepunkt überschritten hätten. So seien etwa die Erzeugerpreise (die in den beiden Vormonaten jeweils um 46% zugelegt hatten) im Vormonat um 4,2% zurückgegangen (hier). Und Deutschland ist im Sommerquartal erstaunlicherweise sogar um 0,4% gewachsen (hier). Allerdings ist der Außenhandel Deutschlands im September weiter geschrumpft (hier).
https://www.tristrategy.co.uk/home/copy-of-quarterly-gdp-drops-by-02-tri
Auch in England stieg die Inflationsrate weiter – auf 11,1% im Oktober 2022. Die BoE hob den Leitzins um weitere 0,75%, obwohl die britische Wirtschaftsleistung im dritten Quartal wohl um 0,2% zurückging. Angesichts des hohen Verschuldungsgrades nicht nur des britischen Staates kommt die Insel jetzt in die Bredouille, wie sowohl das Hurrablatt als auch Herr Mayer in der Welt prägnant aufzeigen. Für einen Abgesang auf die Briten besteht zwar kein Grund, aber die nächsten Jahre dürften hart werden, wie schon die Budgeteinschnitte des neuen britischen Finanzministers zeigen (hier).
85% and counting… Die Inflationsrate in der Türkei steigt zwar nicht mehr so steil an, aber bei der Höhe braucht sie das auch nicht mehr. In erneut seltener Richtigkeit und Kürze zeigt der Tageschau-Artikel die Situation und die Zukunft auf. Fazit: Moooar Inflation ahead. Schon weil die Zentralbank erneut die Zinsen senkt – und Kredite verbilligt.
Die Inflationsrate in der Schweiz sinkt weiter auf nunmehr nur noch 3%. Mehr muss man zu den Eidgenossen wohl nicht sagen – außer vielleicht, dass ihnen demnächst möglicherweise Credit Suisse um die Ohren fliegt (hier).
Eurozone: https://www.n-tv.de/wirtschaft/Inflation-im-Euro-Raum-steigt-auf-Rekordwert-article23686184.html
Die Inflationsrate in der Eurozone steigt ungebremst – auf nunmehr 10,7% im Schnitt. Die Inflationsraten in den einzelnen Ländern liegen zwischen 7,1% und über 22%.
https://www.achgut.com/artikel/madame_ratlos_und_der_bilanzbetrug_auf_hoechstem_niveau
Die EZB erhöht den Leitzins in der Eurozone um kräftige 0,75%. Derweil behauptet Frau Lagarde behauptet immer noch, dass die Inflation „aus dem nichts kam“ (hier). Ja, wenn man eine Entwicklung von 18 bis 24 Monaten und seine eigene Geldmengenausweitung ignoriert, dann trifft das wohl zu. Die Achse des Guten zeigt denn auch bereits den nächsten Dilettantismus der EZB auf – die nämlich den Wert der von ihr gehaltenen Anleihen auf Grund der eigenen Zinserhöhung mindern müsste. Was sie aber nicht macht, da sie sonst selber pleite wäre. Und schon droht wieder italienisches Unheil….
USA: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/inflation-usa-verbraucherpreise-101.html
And the winner is – USA! Zum vierten Mal in Folge sinkt die Inflationsrate in den USA, auf jetzt „nur noch“ 7,7%. Ob sich dabei schon die kontinuierlichen Zinssteigerungen der Fed (im November erneut um 0,75%) oder der Abbau der ins Unermessliche aufgeblasenen Fed-Bilanz auswirken, ist nicht klar. Ausschließen würde ich es nicht.
Fazit: Die Schweizer und die Amerikaner scheinen derzeit vieles richtig zu machen, der Rest übt sich in Wunschdenken, so würde ich mal den Monat zusammenfassen. Die EZB würde eine Entwicklung noch nicht mal erkennen, wenn sie vor ihr stehen würde. Von daher ist die Stellungnahme des EZB-Vizepräsidenten Luis des Guindos, wonach die Inflationsentwicklung in der Eurozone ihren Höhepunkt erreicht habe (erneut hier), möglicherweise ein Statement, dass man ihm in ein paar Monaten genüsslich um die Ohren knallen kann. Aber da ja bekanntlich blinde Hühner auch mal ein Korn finden, sollte man aus der Aussage des EZB-Vize nicht gleich deren Gegenteil ableiten, sondern fragen, ob wir uns nicht vielleicht tatsächlich einem Höhepunkt der inflationären Entwicklung nähern.
Kommt drauf an, wie der Jurist zu sagen pflegt: Tatsächlich könnten nicht nur die zurückgehenden Erzeugerpreise (erneut hier und hier), sondern auch z.B. die stark fallenden Containerfrachtraten (hier und hier) auf eine sich abschwächende Inflation hindeuten. Auch wenn die Gaspreise aktuell wieder steigen, so sind sie gegenüber dem Peak im Sommer doch stark gesunken (hier), ebenso, wie die Ölpreise (hier). Sprich, die ursprünglichen Treiber der Inflation – steigende Energiepreise – verlieren an Kraft. Also alles gut?
Nicht so ganz, denn der Zweitrundeneffekt zieht erst jetzt so richtig an, wie die Gehaltsforderungen bei SAP von über 10% (hier) oder bei der Deutschen Post von 15% (hier) zeigen. Dagegen nehmen sich der jetzt erzielte Pilot-Tarifabschluss von 8,5%, verteilt auf zwei Jahre in der baden-württembergischen Elektroindustrie (hier) sowie der Haustarif von VW (ebenfalls 8,5% Plus, hier) geradezu moderat aus. Und, wie Herr Müller treffend herausarbeitet (hier), dürfte lohntechnische Zurückhaltung nichts sein, mit dem sich derzeit irgendein Arbeitnehmervertreter zieren wird. Die Lohnkosten werden jetzt also voraussichtlich zum Inflationstreiber. Problematisch dabei ist, dass von den (zukünftig) erhöhten Gehältern bei den Arbeitnehmern in Deutschland im europaweiten Vergleich besonders wenig ankommt (hier, vertieft hier). Sprich, wir haben gleichzeitig das höchste Arbeitgeberbrutto und das niedrigste Arbeitnehmernetto in Europa – nicht mal die Schweiz oder Luxemburg schneiden so schlecht ab (erneut hier). Und dazu kommt, dass die Steuerlast der Spitzenverdienern weitaus höher ist, als bei den unteren 50% der Steuerpflichtigen – die oberen 50% zahlen 93,9% der Einkommenssteuern, die unteren 50% lediglich 6,1% (hier). Und in dieser Situation rufen die (neu besetzten) Wirtschaftsweisen nach Steuererhöhungen für die oberen Einkommensbezieher (hier)? Schon bislang waren die Wirtschaftsweisen ja nicht die größten Prognostiker unter der Sonne (hier), aber mit dieser Forderung in dieser Situation verabschieden sie sich – wie zuvor schon andere staatliche Autoritäten – aus dem stetig kleiner werdenden Zirkel der ernst zu nehmenden Institutionen. Dazu kommen dann noch höhere Kosten für die zuverlässig ansteigende Zahl von Beamten (hier und hier), die auch wegen der Unterschätzung der Zahl der abschlagsfrei mit 63 Jahre in Rente gehenden Personen (hier) weiter steigenden Rentenzahlungen (Zusammenbruch der Rentenkasse, hier?).
Auch wenn Herrn Sinn zumindest im Schnitt richtig liegt (hier) und Unternehmen (zumindest bislang) die inflationsbedingt erhöhten Kosten nur zu einem Drittel an die Kunden weitergeben (hier), so gelingt es doch vielen mittlerweile in oligopolistischen Märkten tätigen deutschen Unternehmen, nicht nur die Preissteigerungen weiterzugeben, sondern sie sozusagen selbst auch noch zu befeuern (hier). Und da reden wir noch gar nicht darüber, dass die Preiserhöhungen bei den Energieversorgern vielleicht genau darauf gerichtet sind, die Bundessubventionen abzugreifen (hier) oder dass die Baukosten (hier) derzeit stark steigen (wohingegen die Bauzinsen schon wieder sinken, hier).
Insgesamt ergibt sich somit ein gemischtes Bild – es gibt sowohl Zeichen für ein Abflauen der Inflationssteigerungen, als auch Zeichen, die dagegen sprechen. Aber selbst wenn, was bedeutet „Höhepunkt“ und was folgt danach? Etwa, dass die Inflationsrate bis Ende 2023 auf durchaus handhabbare 2,5% bis 3% sinkt, wie der frühere IWF-Chefökonom Olivier Blanchard vermutet (erneut hier)? Schon das glaube ich nicht. Eher dürfte sich die Inflation im Laufe des Jahres bei fünf bis sechs Prozent einpendeln. Und das wäre angesichts des Schuldenstandes (hier) noch viel zu hoch: Die Schuldenstände bei deutschen (hier und hier) und globalen (hier) Unternehmen spotten jeder Beschreibung und sind schon gar nicht auf ein Zinsumfeld ausgelegt, dass sich derzeit andeutet. Nach China will man schon gar nicht mehr schauen (hier). Deswegen ist es schon keine Prognose mehr, dass es zu „Unfällen an den Finanzmärkten kommen“ wird, wie die WiWo titelt (hier). Ob diese Unfälle sich tatsächlich zu einem „Jahrhundertstum“ auswachsen werden (hier) wird man sehen. Absehbar ist, dass wir alle den „Gürtel werden enger schnallen“ müssen (hier), weil die Inflationsbremsen zerstört sind (hier). Nicht nur das (im letzten Monat hinreichend beschriebene, s. aber auch hier und hier) Desaster am englischen Markt für „Gilts“, nein auch die aktuelle Episode bei Corestate sind Vorboten dieser Entwicklung. Der europäische „Immobilien-Investmentmanager“ Corestate scheint sich zwar in letzter Sekunde noch zu retten (hier). Aber wenn es tatsächlich zu einem Preiseinbruch von bis zu 10% am Immobilienmarkt kommt wie das DIW befürchtet (hier), dann könnte das auch ein letztes Aufflackern des Konzerns gewesen sein.
Sprich, ja, das könnte es gewesen sein, mit zweistelligen Inflationsraten. Aber angesichts von derzeit in voller Fahrt befindlichen Zweitrundeneffekten von einer Inflationsrate von 2,5% bis 3% zu schwafeln, ist völlig unseriös. Und die zerstörerischen Wirkungen der – zur Bekämpfung der Inflation fraglos erforderlichen – Erhöhungen der Leitzinsen durch die Notenbanken „fressen“ sich ebenfalls durchs System. Und diese Effekte werden sich zum Teil gegenseitig egalisieren, zum Teil gegenseitig verstärken. Wie das geschieht und zu was das genau führen wird, kann derzeit niemand seriös voraussagen. Voraussagen kann man aber, dass es wirtschaftlich nicht besser werden wird – auf absehbare Zeit nicht. Inflation hin, Inflation her.