Corona – Kontrollillusion

(Der folgende Post erschien zunächst als Morning Briefing am 22. Januar 2021)

Nachdem ich ja die Woche über die Situation in den wichtigsten Ländern/Regionen beleuchtet hatte (s. zuletzt gestern hier zu Europa), wäre ja denklogisch heute Deutschland dran. Aber das Wochenende steht vor der Tür und da wollte ich dem geneigten Leser noch mal etwas zum Nachdenken mitgeben. Die Betrachtungen zu Deutschland kommen dann Montag, versprochen.

Heute aber mal zu etwas, was mich eigentlich schon seit Jahren umtreibt – und derzeit nach meiner Meinung wieder inhärent in den Diskussionen mitschwingt: Die Kontroll-Illusion. Wahrscheinlich kann man bei mir tiefenpsychologisch da auch einiges pathologisches attestieren, aber ich lasse mal den Gedanken freien Lauf – die sind heuer noch nicht ganz so ausgereift, sozusagen work in progress:

EZB: https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/philip-lane-ezb-chefvolkswirt-lane-will-geringe-inflation-nicht-noch-laenger-tolerieren/26662026.html

https://www.welt.de/finanzen/article224742275/Geldpolitik-Die-Vollkasko-Mentalitaet-der-EZB-birgt-zwei-grosse-Risiken.html

https://think-beyondtheobvious.com/stelters-lektuere/die-niederlage-der-notenbanker/

Die EZB glaubt immer noch so, als ob sie die Inflation und die Zinsen kontrollieren könnte, Stelter sieht das seit jeher skeptisch. Ich auch.

Modelle: https://www.fz-juelich.de/portal/DE/Forschung/covid19-analysen/_node.html

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/physikerin-forscherin-priesemann-sagt-mithilfe-von-rechenmodellen-voraus-wann-die-pandemie-besiegt-ist/26831048.html

https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-diese-sieben-fachleute-beraten-bundesregierung-und-laenderchefs-a-93abc4f5-cac1-4cbb-bc22-8d3b9c623b28

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-politik-die-bestellten-berater-kommentar-a-9edd178d-1843-4522-8bde-f4c8bc0dfa30

Die Bundeskanzlerin lässt sich den potentiellen weiteren Verlauf der Pandemie an Hand von Modellen erläutern.

Impfung: https://www.welt.de/politik/deutschland/article222502238/Corona-Lockdown-Es-herrscht-eine-Illusion-des-Schutzes.html

https://www.welt.de/politik/deutschland/article222514266/Bundesgesundheitsminister-Spahn-Ende-des-Sommers-koennten-60-Prozent-der-Buerger-geimpft-sein.html

Der deutsche Michel meint, dass er selbst ohne Impfung nicht verwundbar sei (ich würde mich da nicht ausnehmen) und Herr Spahn glaubt seit dem 15. Dezember 2020, dass bis Sommer 2020 60% der Bundesbürger geimpft seien und die Kanzlerin hat denn nun auch vollmundig verkündet, dass „bis zum 21. September 2021 jedem Bürger ein Impfangebot gemacht werde“ (hier). Schlicht, weil das der letzte Tag des Sommers sei (vielleicht auch, weil am 26. September 2021 Bundestagswahlen anstehen?).

Fazit: Die Älteren unter den geneigten Lesern werden sich noch an die „Masters of the Universe“ erinnern, die vor der Finanzkrise das „Werk Gottes“ taten – die Rede ist natürlich von den Investmentbankern, den Helden der Nuller-Jahre. Auch sie stützen ihre Arbeit  größtenteils auf „todsichere“ (Risiko-) Modelle (s. nur hier) und prognostizierten das unendliche Wachstum – die Folgen sind bekannt (s. nur hier). Dementsprechend bin ich auch gegenüber Modellrechnungen und taggenauen Prognosen skeptisch und eher ein Fan von Nassim Taleb (hier, s. aber auch hier) – die Welt und gerade menschliches Verhalten ist zu komplex, um sie umfassend in Modellen zu berechnen. Was nicht heißt, dass man nicht AUCH Modelle berücksichtigen sollte. Aber dann wäre es auch ganz gut, wenn sie veröffentlicht würden (ich habe sie zumindest online nicht gefunden). 

Wenn zudem so unterschiedliche Charaktere, wie Sascha Lobo (hier) und Jan Fleischhauer (hier) (oder auch der oben verlinkte Spiegel-Artikel zu „bestellten“ Beratern) in die gleiche Kerbe schlagen (wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten), und das Handeln der aktuell Regierenden (als zumindest in Teilen von Groupthink und Partikularinteressen getrieben) mit eher starken Worten kritisieren, dann sollte einem das zu denken geben.

So weit, so schlecht, aber was kann man denn jetzt tun? Vielleicht erst mal darauf drängen, dass die Optimierungsmöglichkeiten bei der Datenerfassung (und damit wohl auch der Pandemiebekämpfung) genutzt werden: Was hilft das tollste Modell, wenn die Daten, auf denen es beruht, verzögert oder unzuverlässig sind. So ist es im wahrsten Sinne des Wortes tödlich, wenn dem RKI Zahlen nicht oder sehr verspätet geliefert werden (z. B. hier) oder Bund und Länder nach fast einem Jahr Pandemie noch über Details zu Schnelltests in Alten- und Pflegeheimen streiten (hier, danke Steffen). Auch ist es befremdlich, dass wir innerhalb Deutschlands über einen Bewegungsradius von 15 km diskutieren, aber jetzt erst über mögliche Grenzschließungen nachgedacht wird (s. hier, zuvor aber nur „Wir müssen endlich über Tschechien reden“, „Risikogebiet Großbritannien – doch hunderte Flieger kommen trotzdem zu uns“). Auch vermisse ich bei der gegenwärtigen Diskussion die Betrachtung von Alternativszenarien zur weiteren Entwicklung: So geht Bill Gates davon aus, dass uns COVID noch in 2022 beschäftigen wird (hier) oder dass COVID-19, ähnlich wie seinerzeit SARS, mit der Zeit ungefährlich wird (zugegeben, ein Hoffnungswert, hier). Sprich, in meinen Augen könnte „die Politik“ viel mehr erreichen, wenn Sie sich um scheinbar kleine Details (wie die Rechnerausstattung und Digitalisierung von Behörden und Schulen) kümmern würde. Aber das ist natürlich nicht so publikumsträchtig.

Und Sie und ich, sprich der deutsche Michel? Wir können uns wohl  nur in „stoischer Gelassenheit“ üben (hier), wie Herr Lobo unseren Frieden mit Corona machen (hier) und AHA beherzigen – wobei jetzt eher FFP-2 angesagt ist. Kontrollieren können wir vielleicht noch uns, das Virus – und etliche andere Dinge – eher nicht.


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