Inflation adé – Rezession ahoi?

So, zwei Monate lang keinen Inflationspost aufgelegt (zuletzt hier) und schon sieht die Welt anders aus, aber sehen Sie selbst:

Deutschland: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/04/PD23_145_611.html

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/05/PD23_179_611.html

https://twitter.com/DrJoergKraemer/status/1656204180548091904

Die Inflationsrate in Deutschland stürzte von Februar auf März ziemlich ab, nämlich von 8,7% auf „nur noch“ 7,4% im März und dann noch 7,2% im April 2023. Die sog. Kerninflation liegt allerdings weiterhin über 5%, was darauf hindeutet, dass die Inflation bis in den Herbst hinein über 5% liegen könnte. Dazu kommt, dass Destatis den Warenkorb „inflationsfreundlich“ umgestaltet hat, was ich ja schon im Vormonat berichtet hatte. Dadurch verringerte sich die Inflation in 2022 wohl von 7,9% auf 6,9% (hier).

Die Steuereinnahmen sind auf Rekordniveau (hier), aber: „Deutsche Staatsschulden steigen auf Rekordhoch von 2,37 Billionen Euro“. Und die Kosten für die Verschuldung werden höher, erst kürzlich musste der Staat einen Zinscupon von 2,53% für 30jährige Staatsanleihen bieten, den höchsten Wert seit 2013 (hier). Diese Werte hindern die Politik allerdings nicht daran, die Renten ab Juli erneut im Schnitt um 5,86% anzuheben (hier, meine letzte Kommentierung dazu ist von 2021, aber nach wie vor aktuell, hier). Wie sagt man so schön auf englisch: „In the end, something has to give“.

Europa: https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Inflation_in_the_euro_area

In der Eurozone stürzte die Inflation ebenfalls von 8,7% im Februar auf 6,9% im März ab und stieg im April leicht auf 7,0%.

Die EZB erhöhte die Leitzinsen gleichwohl weiter, nämlich um jeweils 0,25% im März (hier) und April, so dass der Leitzins jetzt 3,75% beträgt (hier). Die Frage ist, ob die stark fallenden Inflationsraten in den letzten Monaten schon von diesen Zinserhöhungen (und die Aussicht auf weitere, hier) beeinflusst waren – sprich die EZB tatsächlich effektiv die Inflationsraten drückt (kritisch dazu hier). Dagegen spricht, dass die Bilanz der EZB nicht wirklich signifikant schrumpft (hier), also im Zweifel nach wie vor zu viel Liquidität im Markt ist.

England: https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/geldpolitik-inflationsrate-in-grossbritannien-legt-ueberraschend-wieder-zu/29051496.html

https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-04/grossbritannien-inflation-kostenkrise-verbraucherpreise

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bank-of-england-inflation-grossbritannien-lebensmittel-streik-1.5832490

Auf der Insel ist die Inflationsrate im Februar um 10,4%, im März um 10,1% und im April 2023 um ebenfalls 10,1% jeweils  im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen.

Und die BoE hat zum 11. (hier) und 12. (hier) Mal hintereinander den Leitzins erhöht, auf jetzt 4,50%, ein seit 2008 nicht mehr erreichtes Niveau.

Die Börsenzeitung bewies mit ihrer Schlagzeile, „Großbritannien spart sich arm“ bereits im März hellseherische Fähigkeiten, denn der Chef der BoE gab den Briten mittlerweile tatsächlich zu verstehen, dass sie akzeptieren müssten, dass sie ärmer wären (erneut hier).

USA: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/verbraucherpreise-in-den-usa-inflationsrate-sinkt-deutlich-a-ff519cc1-efa9-4a2b-ae72-16b1c7b08be0

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/usa-inflation-100.html

Auch in den USA fiel die Inflationsrate von 6,0% im Februar auf 5,0% im März und 4,9% im April 2023. Allerdings macht auch in den USA die nach wie vor hohe Kerninflationsrate zu schaffen.

Trotz Sinken der Inflationsrate und Bankenkrise (s. dazu hier) hob die Fed den Leitzins in ihrer Sitzung Anfang Mai um weitere 0,25% auf die Spanne von 5,0%  bis 5,25% an (hier). Im Zuge der Bankenkrise hatte die Fed zunächst die Geldschleusen wieder geöffnet (hier, was die Banken auch nutzten, hier) , mittlerweile aber wieder geschlossen, wie die sinkende Bilanzsumme der Fed zeigt (hier). Auch wegen des relativ attraktiven Zinsniveaus von Staatsanleihen setzt sich allerdings der „silent Bank Run“ in den USA fort (hier). Die schnelle Zinserhöhung führt also auch hier zu wohl „unintended consequences“.

Schweiz: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/inflation-schweiz-eurozone-vergleich-101.html

https://www.srf.ch/news/wirtschaft/teuerung-in-der-schweiz-inflation-ist-so-tief-wie-seit-einem-jahr-nicht-mehr

In der Schweiz fiel die sowieso vergleichsweise niedrige Inflationsrate von 3,3% im Februar auf 2,9% im März und 2,6% im April 2023. Noch im März erhöhte die SNB trotz sinkender Inflation und Bankenkrise, die mit der Credit Suisse ja ebenfalls die Schweiz betrifft, den Leitzins von 1% auf 1,5% (hier).

Türkei: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/inflation-in-der-tuerkei-schwaecht-sich-weiter-ab-a-d66b38cd-592b-42b9-aa74-e13ad807978d

Die Inflationsrate in der Türkei verminderte sich von 50,5% im März auf „nur“ noch 43,7% im April 2023. Trotz Drängen von Präsident Erdogan hat die Zentralbank den Leitzins seit November 2022 bei 8,5% belassen. 

Fazit: Wenn die Inflationsraten auch nicht überall zurückgingen, so steigen sie doch nicht mehr so stark an, wie zeitweise im letzten Jahr. Die USA scheinen die Inflation nach einer zu späten Reaktion nun mehr und mehr in den Griff zu bekommen – wenn auch möglicherweise zum Preis zumindest einer Banken-, wenn nicht einer Finanzkrise. Selbst in der Türkei scheint die Inflation allmählich substantiell zurückzugehen – wobei die derzeitigen Raten immer noch astronomisch sind. Die Situation in Großbritannien scheint sich relativ dazu wenig zu entspannen.

Ökonomen hatten bereits im letzten Jahr gewarnt, dass innert zwölf bis 18 Monaten nach Beginn eines Zinserhöhungszyklus gewöhnlich eine Rezession eintritt (statt vieler s. hier). Die US Fed hatte die erste Zinserhöhung im April 2022 beschlossen und seitdem den Leitzins aggressiv erhöht (s. Grafik hier), so dass mit dem Eintritt einer Rezession in den USA aus statistischer Sicht bis Oktober 2022 zu rechnen ist. Einige Indikatoren deuten aber auch für Deutschland bereits jetzt auf eine Rezession hin, so z.B. der stetig sinkende Ölpreis (hier), der einbrechende Baltic Dry Index (hier) oder auch der Rückgang in der Bautätigkeit (hier, s. zur Bedeutung des Bausektors für das deutsche BIP hier) und der Baufinanzierung (hier) was allerdings schon wieder zu billigeren Baukrediten führt (hier). Angesichts der Regierungspläne zur Umrüstung von Heizungen stellt sich allerdings die Frage, ob die Verbilligung von Baukrediten in der Lage ist, den Bausektor nachhaltig zu stimulieren. Im Falle des tatsächlichen Eintritts in eine Rezession dürfte die Bautätigkeit wohl noch weiter erlahmen.

Sollte die Rezession tatsächlich im 2. Halbjahr 2023 in Deutschland eintreten, so dürfte sie auf ein Inflationsniveau von immer noch über 5% treffen. Gleichzeitig dürften sich die Spielräume des Finanzministers wegen schwindender Steuereinnahmen verringern. Der Zwang zum Sparen könnte die Inflationsrate weiter senken – wenn nicht z.B. die Zentralbanken die Zinsen wieder senken und/oder die Geldschleusen erneut öffnen, um der Wirtschaftskrise Herr zu werden. Die jetzige Aggressivität der Notenbanken bei den Zinsschritten könnte folglich auch damit zusammenhängen, dass sie sich „Beinfreiheit“ für die kommende Rezession erarbeiten wollen. Dies wohl auch im Hinblick auf befürchtete Rufe der Politik nach Zinserleichterungen im Falle einer Rezession – denen wird man dann zumindest der Form nach nachkommen können.

Die Frage ist, wo wir in einem Jahr stehen werden – am Ende einer milde Rezession mit einer Inflationsrate unter 5% oder gar 4% und einem Leitzins von immer noch 2%? Diese geradezu paradiesischen Aussichten dürften nur dann wahr werden, wenn sich auch der Arbeitsmarkt dreht – nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. Der jetzige Arbeitskräftemangel dürfte mit seinen Lohnforderungen weiterhin inflationstreibend wirken. Schlimmstenfalls befinden wir uns also im nächsten Jahr inmitten einer stärkeren Rezession mit einer Inflation von weiterhin über 5% und vielleicht sogar wieder geringen Leitzinsen, wer weiß? Derzeit würde ich kein Geld auf eines dieser Szenarien setzen, aber ich würde erst recht nicht auf einen Boom wetten. Die Kehrseite eines Booms wäre im Zweifel aber auch erneut eine mehr oder minder stark steigende Inflationsrate.

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