So, jetzt ist es soweit – die „2. Welle“ führt zum „Lockdown light“. Von Montag bis „Ende November“ (so genau der Wortlaut des unten veröffentlichten „Beschlusses der Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder“) stehen uns allen wieder eine Vielzahl von Restriktionen bevor. Aus aktuellen Gründen deswegen also mal Corona Special zum Frühstück (und ich lasse das mal bei den Hintergrundartikeln stehen):
Frau Merkel warnte am 28. September 2020 vor 19.200 Neuinfektionen TÄGLICH an Weihnachten.
Nach der Stellungnahme von Herrn Lauterbach vom 16. September 2020 müssten die Todesfallzahlen bis spätestens 20. November anziehen….
Schaut man auf den aktuellen Lagebericht des RKI (hier), dann muss man zugeben, dass die Bundeskanzlerin und Herr Lauterbach richtig bzw. sogar noch zu defensiv mit ihren Schätzungen lagen. Und ich muss zugeben, dass ich diese Meldungen „damals“ (vor einem bzw. eineinhalb Monaten!) selber nicht so ernst nahm. Sprich, die Lage ist ernst.
Aber, was sind die Konsequenzen?:
Interessant ist die „Protokollerklärung Thüringens“ am Ende des „Beschlusses“:
1. Als Selbstorganisation der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder nimmt die MPK in der laufenden Pandemiebewältigung eine wichtige strukturierende Aufgabe wahr. Diese Aufgabe darf sie jedoch nicht überstrapazieren. Die MPK muss sich im Hinblick auf die Stärkung der Legislative bei der Pandemiebewältigung ihrer Funktion und den Grenzen ihrer Kompetenzen bewusst sein.
2. Der Freistaat Thüringen stimmt dem Bundestagspräsidenten ausdrücklich darin zu, dass durch das Parlament konkrete Ermächtigungsgrundlagen für besonders eingriffsintensive Maßnahmen wie z.B. Ausgangssperren, Kontaktverbote und die Verhängung eines sogenannten Lockdowns geschaffen werden müssen. Der Freistaat Thüringen erwartet deshalb, dass
a. der Deutsche Bundestag eine akute nationale Gesundheitsnotlage feststellt, der die von der Ministerpräsidentenkonferenz getroffenen Beschlüsse rechtfertigt, und
b. der Bundesrat in seiner nächsten Sitzung seinerseits die vorher vom Deutschen Bundestag getroffene Feststellung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage ebenfalls vornimmt
Der Freistaat Thüringen erwartet zudem, dass der Deutsche Bundestag schnellstmöglich die notwendigen Anpassungen des Infektionsschutzgesetzes abschließt.
3. Mit Blick auf das gemeinsame Ziel der Vermeidung einer Überforderung des Gesundheitssystems begrüßt der Freistaat Thüringen und trägt diejenigen Maßnahmen mit, die für eine wirksame Eindämmung des Infektionsgeschehens durch wissenschaftliche Erkenntnisse geeignet und verhältnismäßig sind und erwartet vom Bund diese evidenzbasierte Untersetzung der Maßnahmen.
4. Der Freistaat Thüringen erwartet vom Bund, dass er mittels seiner Finanzkraft und der ihm gegenüber den Ländern allein obliegenden Gestaltungsmöglichkeiten der steuerlichen Einnahmeseite dafür Sorge trägt, dass alle von den getroffenen Maßnahmen unmittelbar und mittelbar betroffenen Akteure, darunter insbesondere Solo-Selbständige, Selbständige, gemeinnützige Institutionen und weitere, wirksam unterstützt werden und weiterhin Maßnahmen getroffen werden, Schieflagen zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzufangen.
5. Der Freistaat Thüringen erklärt, dass mit der Verabschiedung des MPK-Beschlusses kein Präjudiz das für parlamentarische Verfahren im Freistaat Thüringen verbunden ist.
Herr Lauterbach hatte ja bereits den Rücktritt des Chefs der Bundesärztekammer gefordert, weil der nicht viel von Masken hält (hier). Dann warten wir mal ab, was Herr Lauterbach angesichts dieser Revolte von Medizinerverbänden so alles fordert. Ich allerdings finde – gerade angesichts des wieder einmal „alternativlosen“ Kurses der Kanzlerin und ihrer Unterstützer – die Diskussionen über alternative Vorgehensweise in dieser Krise sehr wichtig. Hoffen wir, dass diese Stimmen nicht von den Leitmedien zu Tode geschwiegen werden. Meine Hoffnung ist allerdings gering.
„In 50 Jahren könnte man sich weniger an das Virus erinnern, als an den Beginn der Überwachung.“ Sehr weise Worte angesichts des völligen Wegdrehens von Herrn Lauterbach, der jetzt auch anlasslose Kontrollen in Privatwohnungen fordert (hier). Nach der Pandemie – wann immer das ist – werden sich genug Gründe finden, warum man genau jetzt doch noch weiterhin als Staat überall kontrollieren dürfen muss – Herr Kretschmann (hier) klingt da in meinen Ohren eher nach „niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen“.
Und in Berlin, wo die Politik ja sonst nicht so richtig konsequent bei der Durchsetzung des Rechts ist (ich sage nur „Liebig 34“), werden genau erst mal die Wirte kontrolliert, die erfolgreich gegen die Sperrstunde geklagt hatten (hier). Gesundheitssenatorin Kalayci zur Klage der Wirte: „An Betreiber von Gaststätten, die mit juristischem Vorgehen gegen Sperrstunde ab 23 Uhr meinen irgendetwas zu gewinnen: Wissen Sie nicht was auf dem Spiel steht? Lockdown mit schweren wirtschaftlichen Folgen! Um dies zu verhindern, tragen auch sie eine Mitverantwortung!“ Entgegnung der Wirte: „Es ist sehr befremdlich, wenn Sie Menschen in einem Rechtsstaat dazu auffordern, den ihnen zustehenden Rechtsweg nicht zu beschreiten.“ Ich würde mal sagen, wir können gerade live und in Farbe und aus der ersten Reihe zuschauen, wie ein Riss durch die Gesellschaft entsteht. Wenn Gerichte eine Maßnahme aus rechtlichen Gründen kippen, dann sollte sich die Politik mal Gedanken dazu machen, wie es um die politische Legitimation derartiger Maßnahmen steht. Und wenn sich die Polizei für die Kontrolle rechtlich grenzwertiger Maßnahmen als Werkzeug hergibt, muss sie sich hinterher nicht über einen fehlenden Rückhalt in der Bevölkerung wundern.
Bundestag: https://www.bundestag.de/resource/blob/590848/8a0fcfb70fc70a54433a49e1fbe5fe7c/sitz_pdf_20-data.pdf
Der Bundestag tagt regelmäßig, schaut man aber auf die Tagesordnung vom 29. Oktober (hier), dann nimmt die Zeit für die Diskussion um die COVID-Bekämpfung einen weit untergeordneten Zeitanteil ein. Das bei dieser Zeitknappheit schlicht nur ein paar Statements ausgetauscht werden können, ist klar. Ob damit aber wirklich eine „Parlamentsbeteiligung“ angesichts der umfassendsten Grundrechtsbeschränkungen seit dem 2. Weltkrieg gewährleistet ist, halte ich für fraglich.
Schaut man sich die Pressemeldungen des BVerfG an, dann fällt auf, dass wenige bis gar keine Meldungen zu Entscheidungen über Corona-Beschränkungen erscheinen. Das gibt mir zu denken. Aber vielleicht ist der Instanzenzug noch nicht ausgeschöpft.
Fazit: Die Prognose und Analyse der Bundesregierung zur Entwicklung der Fallzahlen ist richtig gewesen. Aber Karl Marx hat bekanntlich den Zustand des Kapitalismus seinerzeit auch richtig beschrieben. Aber seine Folgerungen waren falsch. Aber er war nie in Regierungsverantwortung. Dagegen greift die aktuelle Regierung erneut in verfassungsmäßig höchst fragwürdiger Weise in die Grundrechte der Menschen in Deutschland ein. Und die Menschen, die in den Organen tätig sind, die diese Verfassung schützen sollen, machen mir – bis auf Scheingefechte (s. hier zur Forderung nach Bundestagssitzungen) nicht den Eindruck, als würden sie sich zumindest für die gleichrangige Diskussion von Alternativen zum Lockdown in die erste Reihe drängen. Andere Ansichten werden gemobbt (Lauterbach) und es wird sich in Beschwichtigungen ergangen (Kretschmer). Im Endeffekt regiert Frau Merkel (und niemand anders!) durch – und produziert zunächst wirtschaftliche Gewinner und Verlierer: Rentner, Beamte & Angestellte im öfftl. Dienst und Vermögende Haushalte gewinnen (hier), Gastwirte, Soloselbstständige und allgemein der kleine Mittelstand verlieren. Die bereits im fortgeschrittenen Stadium befindliche finanzielle Spaltung der Gesellschaft wird so vertieft. Die sozialen Folgen davon werden wir erst in ein paar Jahren sehen. Dann aber um so heftiger. Und gleichzeitig dürfte das Vertrauen großer Teile der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen erodieren – da sie zumindest ihre formalen Rollen nicht wahrnehmen und den in der Bevölkerung ablaufenden Widerstreit nicht im Sinne einer repräsentativen Demokratie widerspiegeln. Diese Tendenzen werden spätestens Mitte der zwanziger Jahre auf die Grenzen der Verschuldung treffen. Eine sehr explosive Mischung.
Ich prognostiziere, dass „Ende November“ nicht Schluss mit dem Lockdown sein wird, vielleicht werden einige Maßnahmen wieder gekürzt, aber generell wird der Lockdown – mit der „Karotte Weihnachten“ – zumindest bis Ende des Jahres aufrecht erhalten bleiben (auch wenn das PR-mäßig dann schöner formuliert sein wird). Schon, weil die Kanzlerin Angst hat, dass man nach dem „2. Lockdown“ noch einen „3.“ oder „4.“ verhängen müsste. Die Maßnahmen werden auch deswegen aufrecht erhalten werden, weil die Zahlen eben nicht so heruntergehen werden, wie erhofft – es wird keinen „Wellenbrecher“-Effekt geben, zumindest keinen nachhaltigen. Und irgendwann wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass in der Abwägung aller Interessen nur der Schutz der „vulnerablen“ Gruppen möglich ist – und dass man auch in dieser Gruppe das Sterben nicht wird verhindern können – nur mindern. Und ja, es werden auch Menschen jenseits der Risikogruppen sterben. Aber das wird man dann nach all den Irrungen und Wirrungen angesichts einer erodierenden Wirtschaft und Gesellschaft in Kauf nehmen. Vielleicht genau mit den selben Mitteln („Durchregieren“) wie man jetzt den Lockdown betreibt.