Guten Morgen,
Nachdem ich heute wieder mal über einen grünen Fahrradstreifen gefahren bin (s. dazu meine damalige Echauffierung hier), habe ich meine geplanten Posts fürs Erste in die Ecke gepackt und gehe nachfolgend auf die Berliner Politik der letzten 25 Jahre ein – diesmal aus aktuellem Anlass („Stromnetz“ und „Enteignen“, s. unten) auf die Abfolge von „tollen“ Privatisierungen durch den Berliner Senat:
Wasserbetriebe: https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Wasserbetriebe
„1999 veräußerte das Land Berlin 49,9 % am kommunalen Wasserversorger Berliner Wasserbetriebe an RWE, Vivendi (heute Veolia) und Allianz. Für die Minderheitsbeteiligung an der BWB zahlte das Konsortium 3,3 Mrd. DM (1,69 Mrd. Euro) […]. Zehn Prozent des Erlöses wurden in einen Zukunftsfonds investiert, der innovative Unternehmen und Projekte in der Hauptstadt fördert. Der überwiegende Teil der Milliardeneinnahme wurde jedoch benötigt, um das Etatdefizit im Haushaltsjahr 1998 auszugleichen.“
„Berlin und die privaten Gesellschafter erhielten eine vertraglich garantierte Verzinsung für das betriebsnotwendige Kapital, welches 3,4 Mrd. Euro betrug.“
„Im vergangenen Jahr [2012] konnte das Land Berlin durch den Rückkauf der Anteile des privaten Anteilseigners RWE zum Kaufpreis von 618 Mio. Euro seine Beteiligung an der Berlinwasser Gruppe bereits auf 75,05% erhöhen. Die verbleibenden 24,95% hat das Land jetzt für einen Kaufpreis von 590 Mio. Euro erworben.“
Stromnetz: https://www.welt.de/print-welt/article637269/Berlin-billigt-Bewag-Verkauf.html
https://www.udo-leuschner.de/energie-chronik/000801.htm
https://www.welt.de/print-welt/article490804/Vattenfall-uebernimmt-Bewag-fast-vollstaendig.html
„Danach werden 50,8 Prozent der Bewag-Aktien für 2,9 Mrd. DM verkauft.“
Wenn ich das richtig verstehe, hielt bis ins Jahr 2001 Mirant (nach Umbenennung von „Southern Energy“) rund 26% der Anteile und ein weiterer Teil der Aktien war in Streubesitz.
„Nach Informationen des rbb liegt der reine Netto-Kaufpreis für die Stromnetz-Gesellschaft bei 2,06 Milliarden Euro.„
Wohnungen: https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/pressemitteilungen/2004/pressemitteilung.48073.php
GSW: „Eine entsprechende Beschlussvorlage leitet der Senat dem Abgeordnetenhaus von Berlin zu. Der Kaufpreis beträgt 405 Mio. € […]. Die GSW-Gruppe besitzt ca. 65.700 Wohn- und Gewerbeeinheiten in mehreren Berliner Bezirken. Die Schulden gegenüber Kreditgebern betragen rund 1,56 Mrd. €. Das Jahresergebnis 2003 lag bei 13,4 Mio. €.“
Simple Rechnung: Gesamtkaufpreis (mitsamt Schulden) = Euro 1,965 Mrd. / 65.700 Wohnungen = Euro 29.908,68 Durchschnittspreis pro Einheit……
„Fast 200.000 Wohnungen der städtischen Gesellschaften verkaufte der Senat seit der Wende bis in die Mitte der Nuller Jahre. Von 482.000 Wohnungen in Ost- und West-Berlin waren 2005 nur noch 273.000 Wohnungen übrig.“
https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=2mbECqf16305
„Und die gerechte Abwägung wiederum bedeutet laut einschlägiger Rechtsprechung die Zahlung von Marktpreisen, dem sogenannten Verkehrswert, womit die Deutsche Wohnen womöglich die Gewinnerin ihrer „Enteignung“ werden würde. Der Berliner Senat beziffert die zu zahlende Entschädigung für die in Rede stehenden 243.000 Berliner Wohnungen auf 29 bis 39 Milliarden Euro.“
Mich – selbst Mieter – beschäftigt natürlich der explodierende Berliner Immobilienmarkt (s. auch hier, hier und hier). Und so langsam wird die Situation komplett abstrus. Denn auch, wenn der Berliner Mietendeckel mehr als nur juristisch bedenklich war (s. hier), so ist das Problem einer Stadt, die sich bald nur noch Immobilienzocker leisten können, ja dennoch nicht wegzudiskutieren. Ich würde nicht wollen, dass Berlin so endet, wie London.
Fazit: Wenn der Spruch von Herrn Wowereit, wonach Berlin „arm, aber sexy“ sei, zutrifft, dann hat Herr Wowereit einen nicht ganz geringen Anteil daran, dass dieser Spruch auch in Zukunft Bestand haben wird. Ist doch unter seiner Ägide das Berliner Tafelsilber mal so richtig verscherbelt worden. Und der Rückkauf zeigt, wie teuer die Rekommunalisierung ist. Berlin hat der Welt gezeigt, wie eine Privatisierung auf jeden Fall NICHT funktionieren sollte. Nämlich überstürtzt, zu Ramschpreisen und ohne Einflussmöglichkeit auf die VersorgungsSICHERHEIT (oder -preise: so hat z.B. das Bundeskartellamt die Berliner Wasserbetriebe 2012 wegen völlig überhöhter Entgelte abgemahnt (hier)!). Umgekehrt dürfte das aber für eine relative lange Zeit eine relativ teure Lektion gewesen sein: BETRIEBE DER ÖFFENTLICHEN DASEINSVORSORGE GEHÖREN NICHT IN PRIVATE HAND. PUNKT. NEIN. PUNKT. Und wahrscheinlich muss der Staat gerade in (attraktiven) Großstädten auch einen Gutteil der Wohnungen halten oder anderweitig den „Daumen drauf haben“, schlicht um die aktuell zu besichtigenden Entwicklung gar nicht erst aufkommen zu lassen (s. zur besseren Lage in Wien s. schon Brand Eins, hier).
Aber auch eine positive Lektion hält diese Liste des Grauens bereit: Es sind kleine BÜRGERINITIATIVEN, die den bräsigen Senat vor sich hertrieben, bis der endlich mal seine eigenen Fehler zumindest rückabwickelt. Und Dank Alex bin ich auch Mitglied in zumindest einer davon. Sprich, wir Bürger können doch etwas bewirken – und zwar als Bürger und nicht als Mob, der mal kurzfristig was von „Enteignen“ schreit, nur um sich dann wieder anderen Themen zuzuwenden. Chapeau vor den Bürgern hinter dem „Berliner Wassertisch“, der „BürgerEnergie Berlin“ oder auch „100% Tempelhofer Feld“ (und auch wenn ich „Deutsche Wohnen enteignen“ jetzt nicht befürworte, so gibt es mit den zahlreichen Berliner Wohnungsbaugenossenschaften schon ein Pfund, mit dem man das Wuchern anfangen kann). DIESE LEKTION sollte man sich merken.
Es lebe die Republik! Holen wir uns das Land zurück!
Spruch des Tages: „Man kann sich immer darauf verlassen, dass die [Berliner] das Richtige tun – nachdem sie alles andere ausprobiert haben.“ – Abwandlung eines Zitates, welches Winston Churchill eigentlich den Amerikanern widmete.
Keep calm and carry on!
-tz