Zum Wochenende hatte ich mir drei Artikel „auf Halde gelegt“ – ohne zu wissen, dass sie im „Zusammenspiel“ nicht unbedingt für gute Laune sorgen würden. Im ersten zeigt ein ehemaliger Journalist der Financial Times, John Authers, in meinen Augen und vielleicht unabsichtlich ein „Sollen sie doch Kuchen essen“-Verständnis seiner Leser. Der zweite Kommentar, von Hans-Werner Sinn im Handelsblatt, zeigt für mich die Orientierungslosigkeit dieser Zeitung. Der letzte Artikel (samt Buch), vom Hedge-Fonds Manager Ray Dalio beweist in meinen Augen mehr „Cassandra-Qualität“, als FT und HB zusammen. In meinen Augen sollte es uns zu denken geben, wenn Spekulanten, wie Ray Dalio, mehr, schlüssigere und authentischere Warnungen abgeben, als die eigentlich dafür verantwortliche Presse.
Eigentlich gedachte ich, diese Artikel in einem Morning Briefing zu verarbeiten – deswegen das Layout. Aber der Beitrag ist so lang geworden, dass ich es doch lieber als Hintergrund-Artikel poste:
John Authers: https://www.ft.com/content/b739c370-c698-11e8-ba8f-ee390057b8c9
(Der FT-Artikel ist möglicherweise auch hinter einer Firewall, er ist mit „Finance, the media and a catastrophic breakdown in trust“ betitelt, möglicherweise auch über diesen Linked-In-Feed zu bekommen: https://www.linkedin.com/feed/update/urn:li:activity:6453956936755920896 (Danke Alain!)
Dieser Artikel wäre schon fast witzig, wenn er nicht so ernst wäre. In meinen Augen demaskiert sich der Autor selber, wenn er schildert, wie er – ausgestattet mit dem „Herrschaftswissen“ eines Journalisten der FT – bei Ausbruch der Finanzkrise erst einmal sein eigenes Geld rettet, es dann aber tunlich unterlässt, die Öffentlichkeit vor dem hinter den Kulissen ablaufenden Bank-Run zu warnen. Das Beste ist, dass er sich – nachdem er die Story zehn Jahre später dann doch in der FT veröffentlichte – über die negativen Reaktionen und persönlichen Angriffe wunderte. Und der Kommentar von Mr. Auther „I found the feedback astonishing and wrong-headed. But I am now beginning to grasp the threads of the problem.“ macht es dann auch nicht besser. Denn auch in der Folge lamentiert Mr. Authers nur darüber, wie sehr das Vertrauen auch in die Presse geschwunden ist – realisiert aber nicht, dass genau ER ein Grund dafür sein könnte.
Ein Journalist, der sein Fachwissen ausnutzt, um sich selber vor der Finanzkrise zu schützen, aber unter dem Vorwand, das Banken-System vor einem Zusammenbruch schützen zu wollen, seine Leser nicht informiert, hat in meinen Augen seine Legitimation verloren. Denn eine Bedingung dafür, dass sein Vermögen geschützt blieb, war ja, dass ein Bank-Run unterblieb. Ich kann es nicht mehr hören, wenn solche Leute, wie Mr. Auther jetzt, zehn Jahre später, schreiben, dass sie noch nicht einmal darüber nachdachten, die damaligen Erkenntnisse als Warnungen an die Öffentlichkeit zu bringen, weil „Banken so fragile Konstruktionen sind“ und angeblich befürchteten, dass Warnungen vielleicht zu einem Bank-Run führen würden.
Hier werden mehrere mehrere Schichten fehlender Integrität und Authentizität deutlich: die erste ist, dass Mr. Auther, obwohl er bereits 1990 bei der FT begann, den Crash der New Economy live mit erlebt hat (was er schreibt), aber sich nicht schon dafür schämt, mit der Macht der FT im Hintergrund nicht rechtzeitig vor dem Crash 2008 gewarnt zu haben. Die zweite ist, sein eigenes Vermögen zu schützen, dann aber den Lesern der FT nicht die Möglichkeit zu geben, das gleiche zu tun. Die nächste ist, selber zu meinen, was richtig ist – und aus vorgeblich „höheren Motiven“ heraus nicht vor der aktuellen Krisen-Phänomenen zu warnen. Die Konsequenzen sehen wir heute: Weil es damals nicht zu einem richtigen Crash kam, sind die Verantwortlichen von damals davon gekommen (was Mr. Auther zwar aufzeigt, ohne aber die Verbindung zu seinem eigenen Unterlassen als einen Mosaikstein zu benennen) und eigentlich hat sich bis heute nichts systematisch geändert – wie mein Morning Briefing vom 5. Oktober 2018 zeigt (hier). All die Artikel über „zehn Jahre Lehman“ legen beredtes Zeugnis davon ab, denn nicht einziger Autor meint, dass die damalige Krise überwunden sei.
Und die letzte Schicht ist, dass Mr. Auther nicht ein einziges Mal Reue zeigt – sondern sich nur in allgemeines Geschwafel zu Vertrauensverlust flüchtet. Sorry, aber der Artikel ist für mich heuchlerisch und das Musterbeispiel dafür, warum „Otto-Normalo“ heute kein Vertrauen mehr in die „Hochleistungspresse“ hat.
Guter Kommentar von Werner Sinn – leider auch hinter der Paywall (ich hatte zum Glück die Papierversion). Quintessenz: „Die Währungskrisen in Argentinien und der Türkei – zwei Länder, die auch schon 1982 dabei waren, sind erste Vorboten einer Schwellenländerkrise“. Diese ist nach Ansicht von Sinn ausgelöst durch die Steuerreform von Donald Trump, die sehr an diejenige von Ronald Reagan zu Beginn seiner Amtszeit erinnere.
Ich weiß nicht, was das Selbstverständnis des Handelsblatts ist, aber vor einigen Wochen noch zu posten „Die Lira-Krise ist kein Problem für die Weltwirtschaft“ (hier, worüber ich mich schon mehrfach aufgeregt habe, zuletzt hier) und jetzt einfach so diesen – in meinen Augen sehr schlüssigen – Kommentar von Herr Sinn zu veröffentlichen, spricht für mich Bände: Das Handelsblatt mag ja einwenden, dies sei ja nur ein Gastkommentar und müsse nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Aber – wozu brauche ich eine Zeitung, die einfach Meldungen veröffentlicht, ohne dass eine redaktionelle rote Linie existiert, die durch eine – wie auch immer geartete – Einordnung des Kommentars in die sonstigen Publikationen deutlich wird?
Ray Dalio: https://www.bloomberg.com/news/articles/2018-09-12/ray-dalio-s-seven-bubble-indicators-are-flickering-but-not-flashing (Danke, Herr C. für die Hinweise zu Dalio!)
https://www.principles.com/big-debt-crises/ (das im Artikel genannte Buch)
Hallo Cassandra Ray Dalio! Angesichts der oben beschriebenen, scheinbar nicht funktionierenden Hochleistungspresse erscheinen mir so langsam die Haifische der Wallstreet als bessere Auguren. Das ist kein gutes Zeichen. Und auch inhaltlich lassen Artikel und Buch eher frösteln.