Guten Morgen,
Gestern sah ich mich bemüßigt, für eine Frau der Partei Die Linke zu ergreifen (hier). Ich! Aber die Wogen der Erregung über die vorgebliche Aufforderung zur Erschießung von Reichen war mir dann doch zu viel. Wenn man das (mit 50 Sekunden wirklich sehr kurze) Video mit der Aussage sieht, merkt man, dass die Rednerin offensichtlich aus dem Elfenbeinturm, in den die Diskussion scheinbar geraten war, ausbrechen wollte und deswegen überspitzt reagiert hat. Bestimmt nicht toll, schon gar nicht geschickt – aber müssen dann die Berufsaufgeregten gleich wieder nach dem Verfassungsschutz rufen? Ich glaube nicht – auch wenn ich Ihnen Recht gebe, dass ein ähnlicher Spruch ausgehend von der AfD und nach den Erfahrungen in Thüringen sogleich zu einer erneuten Staatskrise geführt hätte. Aber vielleicht sollte man auch die entsprechenden Äußerungen der AfD mal unaufgeregter werten, wer weiß.
Und sorry, die Medien tun ihr Bestes, das Erregungsniveau oben zu halten. Beispiel gefällig? Neulich beim Sturm „Sabine“ sind Schatzi und ich vor Lachen fast vom Sofa gefallen, als in der aktuellen Berichterstattung eine Reporterin, die nach der Verkündung, dass der Bahnverkehr eingestellt werde, vor einer sehr Schlange von Menschen, die augenscheinlich in allergrößter Ruhe auf weitere Informationen warteten, atemlos verkündete: „die Lage spitzt sich zu!“ Geht’s noch?
Wie das nachfolgende verkappte „Erregungsspecial“ zeigt, übersieht man bei der ganzen Erregung über Linke, AfD, Corona oder Flüchtlinge gerne mal geflissentlich die tieferen Probleme dahinter:
Der NZZ-Reporter hat Recht, aber er ist halt leider auch Schweizer. Ich möchte mal die Kommentare sehen, wenn die Deutschen nicht unter der Last ihrer historischen Verantwortung gebückt in der Welt rumstehen – sondern mit einem „gesunden“ Selbstbewusstsein. Und zum Beispiel so etwas, wie die Wahl in Thüringen gelassen bewerten und später ausgleichen. Wo kämen wir denn da hin, wenn die Deutschen keinen Schuldkomplex mehr hätten (aber auch nicht meinen, „Sie wären wieder wer“, bloss weil sie ne depperte Fußballweltmeisterschaft gewinnen oder „Exportweltmeister“ sind).
„Das Leben ist einfach sicherer, wenn man Bedenkenträger ist – allerdings nicht unbedingt glücklicher.“ Jap, kann ich komplett bestätigen ;-)))….
https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=QyeQ0hY3753 (Danke, Schatzi!)
…aber irgendwann ist dann auch mal gut. Die Angst vor dem Coronavirus lähmt die Weltwirtschaft, obwohl bereits jetzt abzusehen ist, dass die Folgen sich im Rahmen einer „normalen“ Grippewelle halten dürften – zumindest in Europa. Sehr guter Kommentar nicht nur von Herrn Steingart, sondern auch von dem Virologen (man beachte, es wird nicht irgendein unspezifischer „Experte“ befragt, sondern jemand, dessen konkrete Berufsbezeichnung aussagt, dass er Experte ist!) Christian Drosten dazu. Weiter so.
Und das man auch gelassen bleiben und trotzdem gute Ratschläge erteilen kann, zeigt mal wieder die FAZ: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/14-tipps-was-gegen-das-coronavirus-helfen-kann-16659001.html oder auch die Stuttgarter Nachrichten: https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.desinfektionsmittel-selber-machen-mhsd.cfa28860-f81a-42b4-bcdc-93164e02e553.html. Auch weiter so!
Deutschland: https://www.focus.de/finanzen/boerse/gastbeitrag-gabor-steingart-epidemie-setzt-schwaechelnde-deutsche-wirtschaft-weiter-unter-druck_id_11726784.html (Danke, nst)
Herr Steingart macht sich (s. auch schon oben, weiter so, machen Sie mich nur überflüssig…). Die iwd-Betrachtung zur Produktivität hatte ich auch schon verarbeitet (hier), aber Herr Steingart holt noch viel weiter aus – und zeigt mal schön ungeschminkt die deutsche Realität vor und ohne Corona.
Fazit: Offensichtlich frisst nicht nur Gier das Hirn, sondern auch die Angst – und es wird Menschen geben (Politiker?), die sich diese Angst zu Nutze machen werden. Oder Unternehmer, die sie zu ihrem Vorteil ausschlachten (dazu die Tage mehr). Wichtig ist, sich in diesen Zeiten möglichst umfassend zu informieren, vorsichtig Maßnahmen zur „Eigensicherung“ zu betreiben (ja, ich meine die Ratschläge des Bundesamtes für Katastrophenschutz zur Vorratshaltung), aber vielleicht nicht gleich ALLE Nudelpackungen im Supermarkt aufzukaufen und ansonsten mal ein Buch über Stoizismus zu lesen (z.B. hier). Und den Medienschaffenden empfehle ich, in die Tüte zu atmen, Beruhigungstee zu trinken und vielleicht mal einen Kommentar weniger rauszulassen und stattdessen zu informieren. Um mal mit Anthony Hopkins zu enden: „Keiner von uns kommt hier lebend raus! Also, hört auf, Euch wie ein Andenken zu behandeln. […] Seid freundlich. Seid albern. Seid komisch. Für nichts anderes ist Zeit!“
Historisch: 1998: Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich gestattet deutschen Aktiengesellschaften den ihnen bislang unerlaubten Erwerb eigener Aktien unter bestimmten Bedingungen (Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/5._M%C3%A4rz)
Keep calm & carry on!
-tz