Morning Briefing – 7. Mai 2021 – Gibt es (noch) „eine“ Gesellschaft?

Guten Morgen,

Zum Wochenende will ich Ihnen heute im Rahmen eines „Long-Read“ fürs (hoffentlich letzte kalte und corona-fokussierte) Wochenende einige Gedanken zum aktuellen Status der deutschen Gesellschaft und deren potentielle Entwicklung nahe bringen:

„Die Selbstgerechten“: https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article230832707/Wagenknecht-bissige-und-positive-Reaktionen-auf-Buch.html

https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=2mbECqf16259

https://www.rainer-zitelmann.de/wp-content/uploads/2021/04/Debatte_Zitelmann_1183680218_View.pdf

https://www.wallstreet-online.de/nachricht/13804919-buchtipp-anmerkungen-sahra-wagenknechts-streitschrift

Nicht nur Frau Wagenknecht macht sich gerade als angebliche „Nestbeschmutzerin“ der „reinen“ (linken) Lehre einen Namen, auch ihr Kollege Fabio De Masi spart nicht mit Kritik an der Diskussionsfähigkeit der Linken (hier). Die (teils harschen) Kritiken zeigen aber, dass Frau Wagenknecht wunde Punkte tatsächlich trifft. Und auch ich als eher konservativer Mensch stimme mit ihrer Analyse der aktuellen Lage fast vollständig und mit ihren Vorschlägen zur Problemlösung größtenteils überein, auch wenn mir Aussagen, wie „Das zentrale Ziel kapitalistischen Wirtschaftens besteht darin, aus Geld mehr Geld zu machen.“ dann doch zu holzschnitzartig sind. Einzig der Titel (der der Autorin ja auch schon süffisant vorgehalten wurde), passt eigentlich nicht zum Buch.

„End of History“: https://de.wikipedia.org/wiki/Ende_der_Geschichte

https://www.zeit.de/2016/13/francis-fukuyama-politikwissenschaftler-populismus-usa/komplettansicht

„2016 betonte Francis Fukuyama im Gespräch mit Michael Thumann und Thomas Assheuer das schon in seinem Buch angerissene Problem, dass die moderne liberale Demokratie ein grundsätzliches Problem hat: Sie bietet wirtschaftlichen Erfolg und Sicherheit, aber sie stiftet weder Stolz noch Gemeinschaft und Identität. Diese werden von Religionen und Ethnien viel stärker hervorgebracht und bilden daher eine weltanschauliche Alternative, die den Menschen ein tiefes Bedürfnis ist.“

Der Antagonismus zwischen Herrn Huntington („Clash of Cultures“) und Herrn Fukuyama („End of History“) ist ja legendär, wobei ich schon immer ehr Huntington zugeneigt war (s. schon hier). Die hauptsächliche Bruchlinie zwischen Fukuyama und Huntington liegt – nach den eigenen Worten von Fukuyama (Ausgabe 2006, Kapitel „Afterword“, S. 342) – darin, das Fukuyama die (westlichen) Werte, wie Demokratie, als universell ansieht, was Huntington bestreitet.

Wokeness: https://www-nzz-ch.cdn.ampproject.org/c/s/www.nzz.ch/amp/feuilleton/josej-joffe-ueber-wokness-wohlfahrtsstaat-und-liberalismus-ld.1608066

„Tatsächlich ist wokeness jedoch eine Attacke gegen das Beste im Westen: Renaissance, Aufklärung, Liberalismus.“

Humor: https://www.t-online.de/unterhaltung/humor/id_89935914/martin-sonneborn-ueber-einen-witz-denke-ich-jetzt-zwei-mal-nach-.html

Wenn der ex-Herausgeber der Titanic, Herr Sonneborn, schon konstatiert, dass „eine Gesellschaft in der Lage sein [muss], anders mit Verstörungen umzugehen – Kernaufgabe von Kunst, Satire, Theater, Schauspielern. „, dann sind wir auf der nach unten offenen Humor-Skala der Deutschen auf neue Tiefststände gefallen. 

„Anbiedermeier“: https://larsvollmer.com/raus-aus-der-anbiedermeierepoche/

Wieder mal ein provozierender Artikel von Herrn Vollmer (s. schon hier) „Anbiedermeier“, fast so gut wie „Gratismut„. Beides grassiert gerade in umgekehrter Proportionalität zum Humor.

Fazit:  Herr Fukuyama wird aktuell (leider) erneut wiederlegt, wenn man sieht, dass so etwas wie „universale Werte“ nicht mal in so einem vergleichsweise kleinen Staat, wie Deutschland herrschen. Derzeit habe ich den Eindruck, dass wir unserer Gesellschaft beim Verfall zuschauen können. Und scheinbar sehe nicht nur ich das so; ich hoffe inständig, dass sich – wie von Herrn Vollmer als eine  von zwei Alternativen genannt – die derzeitige Unkultur der „Haltung“ bis zur Anbiederung sich (zeitnah) totläuft und wir nicht auf die Ebene von „Stämmen“ zurückfallen (bei diesen Worten taucht vor meinem inneren Auge doch tatsächlich das Bild von dem Mann mit den Büffelhörnern im Kapitol auf….).

Frau Wagenknecht, wie auch Herr Fukuyama, gehen in ihren jeweiligen Analysen aber auch auf etwas ein, was ich bislang selber gar nicht wahrgenommen habe: Die möglichen Lücken, die der Liberalismus lässt und den Unterschied zwischen Liberalismus und Republikanismus. Dementsprechend fordert Frau Wagenknecht auch eine bessere Inklusion (!) des Bürgers in die Entscheidungsprozesse und positioniert sich klar für einen Losentscheid für zumindest einige Mitglieder der Legislative, wie auch schon im Buch „180 Grad“ (hier) vorgeschlagen. Und nicht umsonst hatte ich den Posts zu den Berliner Privatisierungsirrungen zu Beginn der Woche (hier) mit den Worten „Es lebe die Republik! Holen wir uns das Land zurück!“ beendet. Denn in Berlin haben einige Bürgerinitiativen gezeigt, wie man als BÜRGER durchaus richtungsweisende Entscheidungen beeinflussen kann. Insofern schließt sich für diese Woche zumindest dieser (gesellschaftliche) Kreis….

Spruch des Tages: „You know, there’s no such thing as society. There are individual men and women and there are families. And no government can do anything except through people, and people must look after themselves first. It is our duty to look after ourselves and then, also, to look after our neighbours.“ Margaret Thatcher, 1987 (hier)

Keep calm and carry on!

-tz 

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