Coronavirus – Herdenimmunität adé, aber wohin reiten wir jetzt?

Essentially, all models are wrong,
but some are useful

George Box

Erst zum Wochenende fiel den Medien (und zugegebener Maßen auch mir) auf, welche Kehrtwende die Bundeskanzlerin bei ihrer Pressekonferenz am Mittwoch der letzten Woche vollzogen hat (s. zur PK hier): Nachdem sie zuvor immer entweder auf das RKI oder die Leopoldina gehört hatte, was die „Richtwerte“ für einen „Einstieg in den Ausstieg“ angeht, hat sie am Mittwoch mitten im Rennen das Pferd gewechselt.

Während Sie noch am 28. März 2020 geäußert hattet, dass sich die Verdoppelung der Anzahl der Neuinfektionen auf zehn Tage verlangsamen müsse (hier), hatte sie in der Folge das Kriterium der zehn Tage immer weiter verlängert – bis es am Mittwoch schließlich sogar bei weit über 20 Tagen waren (s. dazu schon die Kritik bei Sascha Lobo, hier). Am Mittwoch dann schwenkte sie um und erklärte die „Basisreproduktionszahl R von 1,0″, bzw. einen darunterliegenden Wert für den nunmehr gültigen Wert, an dem die Lockerung oder Verschärfung der corona-bedingten (Grundrechts-!) Beschränkungen gemessen werden sollte (hier). Dieser (zunächst in den Medien nicht weiter kommentierte) Wechsel der Kontrollparameter wurde flankiert durch offensive Pressearbeit der – für diesen „Perspektivwechsel“ wohl verantwortlichen „Helmholtzgemeinschaft“ („Jetzt wäre jede Form von Lockerung gefährlich“) und Angriffen auf die sog. „Heinsberg“-Studie von Prof. Dr. Streeck („„Kann daraus nichts ableiten“: Virologe Drosten übt Kritik an Heinsberg-Studie“). Und am Sonntag ließ dann der Kanzleramtsminister Braun in der FAZ ziemlich offiziell die Katze aus dem Sack („Herdenimmunität keine taugliche Strategie„). Sprich, die bisher ausgegebene Strategie des „Flatten the Curve“ (s. dazu grundlegend hier), um so eine Überforderung der Krankenhäuser auf Grund zu schnellem Anstiegs der Infizierten zu verhindern – aber dabei eine Immunisierung der Gesamtbevölkerung hinzunehmen (s. dazu hier), ist nun vom Tisch. Und die Kanzlerin ist zwischenzeitlich vom RKI / Prof. Drosten über die Leopoldina nun zur Helmholtzgemeinschaft gewechselt – um ihre Argumentation zur Aufrecherhaltung des Lockdowns stützen zu können.

Und hier beginnt nun das Problem: Auf welcher wissenschaftlichen Grundlage werden eigentlich politische Entscheidungen getroffen? Aktuell scheinen die Regierenden sich die zu ihrem Vorgehenswillen passende Erklärung auszusuchen und spiegelbidlich dazu mittlerweile ein „Beliebtheitswettbewerbs“ der verschiedenen Forscherteams zu herrschen.

Und genau hier müsste das Parlament einhaken – und die Legitimität der jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse hinterfragen. Denn z.B. hat Herr Drosten selber seinerzeit vorhergesagt, dass das Erreichen der „Herdenimmunität“ bis zu zwei Jahren dauern könnte – die angeblich neue Erkenntnis von Herrn Braun dazu ist also alt (s. näher dazu bei den bisherigen Links). Aber Herr Drosten hat im Gegensatz zu Herrn Braun dabei keine Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems gesehen. Wieso stellt – bei ja angeblich pausenlos gesteigerter Kapazitäten in diesem Bereich – jetzt plötzlich das bislang kommentarlos von den Regierenden geteilte Ziel der Herdenimmunität (was man tatsächlich hinterfragen könnte) ein Problem dar?

Auch wurden im Nachhinein Indizien bekannt, die die Aussagekraft der Leopoldina (s. dazu hier) relativieren könnten: So stellt sich heraus, dass die Leopoldina bereits 2016 die Schließung von 1.300 Kliniken gefordert hatte (hier), ein Prozess, der hätte er stattgefunden, jetzt wohl zu Todesraten wie in Italien geführt hätte. Auch wies Frau Prof. Dr. Allmendinger in einer Diskussion auf Radio Eins darauf hin, dass unter den 26 Experten der Leopoldina, die für das Papier verantwortlich zeichneten, nur zwei Frauen sind und der Altersdurchschnitt der Professoren jenseits der 60 liege – diese also selber zur Hochrisikogruppe gehören würden (hier). Die Studie von Herrn Streeck wurde ja schon hinreichend mit Bedenken bedacht, aber auch das RKI scheint nicht ganz gefeit vor Kritik (s. schon hier).

Und hier schließt sich der Kreis: Genaues wissen weiß man nicht. Auch die Wissenschaftler nicht. Dazu noch ein paar ergänzende Gedanken: Als die Zahl der Infizierten in den USA steil anstieg, übernahm Mr. Trump die Zahlen bezüglich möglicher Toten durch die Pandemie von seinem Experten Fauci – und ging von 100.000 bis 240.000 Toten durch Corona aus (hier). Stand heute (20.04.2020, 11:00 Uhr, JHU) sind in den USA knapp über 40.000 Menschen mit oder am Virus gestorben und der Trend der Neuinfektionen ist gegenüber der Vorwoche konstant. Ich selber war nach einer „Küchentischberechnung“ mit Schatzi am 30. März 2020 davon überzeugt (!), dass die USA die Marke von 100.000 Toten am 14. April 2020 „durchstoßen“ würde. Mit „nur“ 26.000 Toten an diesem Tag wurde diese Zielmarke (zum Glück!) mehr als deutlich verfehlt. Das konnte aber gar nicht an den bis dahin getroffenen Maßnahmen zur Verringerung der Infektionszahlen liegen, denn ausgehend von den Grundlagen des RKI („Sehen in zehn bis zwölf Tagen, ob Maßnahmen greifen“) waren am 30. März ja schon die Infektionen angelegt, die zur Todeszahl von 100.000 hätten führen müssen. Die Frage ist also, ob die Modelle, die jetzt zur Begründung der weiteren Aufrechterhaltung des Lockdowns herangezogen werden, tatsächlich „taugen“.  Zerohedge deutet hier zumindest mal an, dass die derzeitigen Modelle eher im Lichte des eingangs zitierten Spruchs von George Box zu sehen sein könnten, denn als exakter Gradmesser für weitere Maßnahmen.

Wer hinterfragt also die Wissenschaftler und ihre Modelle? Das Parlament – oder zumindest für die „4. Gewalt“? Ich bin gespannt….


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