Morning Briefing – 6. August 2019 – Mittelstand // IWF // Mittelschicht

Guten Morgen,

Willkommen im Währungskrieg – der sich zur heraufziehenden Rezession gesellt: China unternimmt zumindest nichts, um seine eigene Währung zu stabilisieren – der Yuan sank gestern auf den tiefsten Stand seit 2008 (näheres dazu hier). Derweil versucht Mr. Trump durch Druck auf die Fed, den Dollar ebenfalls in eine Abwertungsspirale zu bekommen – in der sich der Euro „Dank“ Herrn Draghi schon längst befindet. Zeitgleich versinkt – zumindest wenn man Zerohedge glauben darf – das us-amerikanische Plunge Protection Team im Chaos (hier). Keine gute Vorbereitung für einen Währungskrieg…

Heute Mal ein verkapptes und kritisches Mittelstands / Vermögensspecial:

Mittelstand: https://www.economist.com/finance-and-economics/2019/08/01/the-mittelstands-corporate-success-comes-at-a-cost

Die – auch von Mr. El-Erian (hier) kommentierte – Grafik zur Einkommensverteilung in Deutschland ist zum einen ja nur ein Aspekt der Ungleichverteilung, heftiger noch ist – auf Grund der de-facto-Abschaffung der Erbschaftssteuer auf Betriebsvermögen (hier) – der Effekt bei der Vermögensverteilung (hier). Passend dazu will die letzte deutsche Kaiserfamilie gerade ihre Schlösser zurück (hier).

Quintessenz: Ich sehe den vom Economist unterstellten Zusammenhang zwischen Exportabhängigkeit und Ungleichheit in der Einkommensverteilung nur bedingt, eine (Mono-)Kausalität würde ich rundweg ablehnen. Die Exportorientierung der deutschen Wirtschaft wird allerdings in der jetzt kommenden Krise wie ein Hebel krisenverstärkend wirken – also zu einer Vermögensverringerung führen.

IWF: https://www.welt.de/wirtschaft/article196683317/IWF-Ausgerechnet-der-Mittelstand-foerdert-die-Ungleichheit-in-Deutschland.html

https://www.dw.com/en/opinion-imfs-criticism-of-german-family-firms-is-flawed/a-49599115

https://www.handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/familienunternehmer/vermoegensunterschiede-ungleichheit-in-deutschland-mittelstand-weist-kritik-des-iwf-veraergert-zurueck/24587192.html

Während der Economist aus der IWF-Studie die Export-Abhängigkeit aufgreift, konzentrieren sich die Medien auf den Aspekt, dass der „Mittelstand“ die Vermögensungleichheit fördere.

Das Urproblem bei derartigen Studien ist: Die Definition, hier des „Mittelstandes“ (s. auch Wikipedia, hier). Denn in meinen Augen ist es natürlich bedenklich, wenn die obersten zehn Prozent der Bevölkerung vierzig Prozent des Vermögens besitzen (oder das oberste Prozent gleich 20%). Aber: Aus meinem Verständnis heraus gehören die obersten Prozente schon definitionsmäßig nicht zur „Mitte“ der Gesellschaft. Außerdem wird hier Mittelstand und Mittelschicht fröhlich durcheinander geworfen – was man Nicht-Muttersprachlern nicht vorwerfen sollte… Aber seis drum.

Auch hilft es, die aktuelle Studie zumindest mal zu überfliegen: https://www.imf.org/~/media/Files/Publications/CR/2019/1DEUEA2019001.ashx

Denn, da heißt es:

„Directors observed that, while external imbalances are starting to unwind amid faster wage growth, Germany’s large current account surplus partly reflects high corporate savings, widening top income inequality, and compressed household consumption. Directors thus saw a need for forceful policy measures to ensure that the benefits of strong economic performance are broadly shared. Continued faster wage growth and boosting disposable income through the tax and benefit system would be helpful in this regard.“

Also: Auf Grund der Exportlastigkeit gibt es hohe Unternehmensgewinne, die aber zumeist den schon Wohlhabenderen zufließen. Dementsprechend fordert der IWF eine Umverteilung. Klingt nach Kevin Kühnert, aber vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen:

Mittelschicht: https://www.welt.de/wirtschaft/article191724187/OECD-Studie-Die-Mittelschicht-hat-es-heute-immer-schwerer.html

https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-08/bundesagentur-fuer-arbeit-einkommen-unterschiede-verdienst-ostdeutschland

https://www.welt.de/wirtschaft/karriere/plus196609097/Gehaelter-In-Deutschland-ist-die-Mittelschicht-der-Verlierer.html

Also, der Osten und die unter 30-jährigen kommen nicht mehr nach oben. Auch in Studien entpuppt sich das Bild vom angeblichen Abschwören der Millennials von Besitz immer mehr als Trugschluss (hier). Es fehlt nicht am Willen, sondern am (finanziellen) Können.

Fazit: Die deutsche Mittelschicht war eigentlich der Träger des deutschen Erfolgsmodells, sie erodiert (schreibe ich auch immer mal wieder, zuletzt hier) – auch wegen grundlegender Fehlentscheidungen in den letzten Jahren, nämlich z. B. die Erbschaftssteuer in Deutschland de facto abzuschaffen. Und jetzt, wo der IWF konkret fordert, Vermögen höher zu besteuern, um der Erosion Einhalt zu gebieten, stellen sich die Lobbyisten mal wieder auf die Hinterbeine? Ich finde es schon frech, wenn sich die Gesellschafter von Miele und Schaeffler (um nur zwei zu nennen) mit dem Titel „Mittelstand“ schmücken – und dabei so tun, als wären sie auch noch „Mittelschicht“. Aber im letzten Jahr setzte Friedrich Merz mit seiner Behauptung, er gehöre trotz Millioneneinkommen zur Mittelschicht, die Krone auf (hier).  Sein Fall zeigt aber auch, dass man sich gerne hinter dem (noch) positiv besetzten „Label“ „Mittelstand“ oder „Mittelschicht“ versteckt und dann doch Maßnahmen trifft, die eher den obersten 10 Prozent nützen.

So, hätte auch nie gedacht, dass ich das folgende mal schreiben würde: Ich halte Frau Lagarde’s Analyse für richtig und ich glaube, dass wir in Deutschland nicht um eine Vermögenssteuer sowie die Erhebung einer richtigen Erbschaftssteuer herumkommen werden. Nicht nur, um den Mittelstand und die Mittelschicht wieder erstarken zu lassen, sondern auch, um der Verkrustung der Gesellschaft insgesamt entgegen zu wirken. Okay, jetzt ist es raus, ich warte dann mal auf den Shitstorm….

Historisch: 1919: Der Staatenausschuss billigt den Gesetzesentwurf für den Aufbau der Reichsfinanzverwaltung. Es ist das erste von 16 Gesetzen, mit denen das umfangreichste Reformwerk der deutschen Steuer- und Finanzgeschichte eingeleitet wird (aus: https://de.wikipedia.org/wiki/6._August)

Ich wünsche einen guten Start in den Tag!

Viele Grüsse,  

-tz 

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