Auch im zurückliegenden Jahr habe ich wieder versucht, die Hintergründe verschiedener Entwicklungen zu verstehen und dazu etliche Bücher gelesen, die jedes für sich genommen, mein Verständnis wieder etwas erhöht haben. Nachfolgend möchte ich die drei wichtigsten Bücher des letzten Jahres (für mich) kurz vorstellen, als da wären „Bastardökonomie“ von Gabor Steingart, „Die Weimarer Verfassung“ von Udo di Fabio sowie „Doom“ von Niall Ferguson:
Bastardökonomie: https://www.perlentaucher.de/buch/gabor-steingart/unser-wohlstand-und-seine-feinde.html
Das bereits vor der Bundestagswahl von 2013 vom ehemaligen Chef des Hurrablatts und heutigen „Pioneer“-Betreiber Gabor Steingart verfasste Büchlein (hatte ich schon hier zur Interpretation der aktuellen Lage genutzt), gibt einen guten Überblick über die ursprüngliche „Dichotomie“ von Banken und Staat, die aber im Zuge des versuchten „Zukaufs“ von Wachstum durch Kredite spätestens seit Bill Clintons „Homeownership Strategy“ (hier), zur besagten „Bastardökonomie“ konvergierte. Für mich war der Startpunkt dazu zwar eher 1987 der wegen des „Schwarzen Montags“ gesetzte sog. „Greenspan Put“. Aber das ist angesichts des mittlerweile stark fortgeschrittenen Stadiums der Bastardisierung eher Semantik.
Stark ist Herr Steingart – wie auch Frau Wagenknecht in ihrem Buch zu gesellschaftlichen Zuständen (s. dazu bei mir hier) – in seinen Analysen des Ist-Zustandes der Finanzwirtschaft (der sich seit 2013 nicht grundlegend verändert hat). Gerade die Gegenüberstellung der einseitig pro/contra Staat oder pro/contra Wirtschaft argumentierenden prominenten Zeitgenossen, wie Stieglitz, Krugman, Blooomberg oder Bofinger, zeigt tatsächlich, dass die bereits seit den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandene Bastardökonomie in den Wirtschaftswissenschaften immer noch nicht als solche, geschweige denn als Problem, erkannt wird. Deswegen ist auch seinem Ruf nach einer (erneuten) „Entflechtung“ zwischen Staat und Banken nur zuzustimmen.
Weimarer Verfassung: https://www.perlentaucher.de/buch/udo-di-fabio/die-weimarer-verfassung.html
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo di Fabio versucht in dem 2018 erschienen Buch sich, wie viele andere vor ihm, an einem Erklärungsversuch, warum „Weimar“ gescheitert ist, genauer, was die „Weimarer Verfassung“ zum Untergang der Republik beigetragen hat. Am Ende (s. 250) kommt er zu dem – für unsere Zeiten durchaus furchterregenden – Schluss: „Regelsysteme müssen durch Personen, durch Persönlichkeiten, entsprechend genutzt und gestaltet werden. Eine gute institutionelle Ordnung ist ein Haltegerüst und ein Grenzregime für politische Macht […]. Doch wenn die personelle Basis dünn ist und ersichtlich falsche Kandidaten ins Amt gelangen, bricht das Haltegerüst. Unter einem Reichspräsident Friedrich Ebert, gesetzt, den Fall er wäre 1925 nicht gestorben, sondern auf sieben Jahre gewählt worden, hätte sich womöglich die Weimarer Verfassung besser geschlagen als das Grundgesetz, weil sie dann institutionell und personell hätte zeigen können, wie wehrhaft sie in Wirklichkeit angelegt war.„
Ich bezweifele zwar, dass lediglich ein Friedrich Ebert alleine dieses Wunder vollbracht hätte. Auch Herr Weidmann stand (in natürlich verfassungsrechtlich schlechterer Position) auch schlicht alleine da. Aber zusammen mit Walther Rathenau, Gustav Stresemann und Matthias Erzberger hätte Friedrich Ebert vielleicht Deutschland tatsächlich vor den Nazis retten können (s. auch hier). So wie damals Führungspersönlichkeiten fehlten, die den Nazis mit – für den Bürger (!) – verständlicher und wirksamer Politik hätten entgegentreten können, so dürften uns auch heute entsprechende Persönlichkeiten (jenseits der durch die sich selbst dazu stilisierenden „4. Gewalt“) gehypten) fehlen.
Doom (Erst mal Danke, Stefan, für das Buch!): Der britische Historiker Ferguson, Niall schafft es, innerhalb der ersten zehn Monate der Corona-Pandemie ein umfassendes Werk über die Hintergründe, das „Krisenmanagement“ und die Folgen von natürlichen und menschengemachten Katastrophen zu schreiben. Natürlich kreist das Buch um Corona, aber der Autor unternimmt zahlreiche Ausflüge in angrenzende Sujets und zeigt auf, wie und wo es am „Management“ zahlreicher Katastrophen, wie etwa der Spanischen Grippe, scheitert. Das Buch passt sehr gut in meinen „Krisenkanon“ (zu weiteren meiner Reading Lists s. auch hier). In einer Vielzahl von Erläuterungssträngen (gleichzeitig Vor- und Nachteil dieses mit 398 Seiten eher dicken Oeuvres ) legt Herr Ferguson kompetent dar, dass die auch Auswirkungen jeglicher Natur-Katastrophe, eben also auch einer Pandemie, auf die sie betreffenden Menschen in erheblichem Umfang vom „Management“ der Krise abhängt – die natürlich wiederum an Menschen hängt. Und hier schöpft der Autor wenig Hoffnung aus den zahlreichen von ihm dargestellten Beispielen von „Katastrophenmanagement“ aus der Geschichte. Gerade an den Katastrophen von Tschernobyl, Three-Mile-Island, aber auch der „Challenger-Katastrophe“ weist er profunde Fehler im Risikobewusstsein, den etablierten „Krisenroutinen“ und der konkreten Handlungen von Verantwortlichen nach. Angesichts des – sagen wir mal – „optimierungsfähigen“ Managements der Corona-Pandemie gerade in westlichen Staaten macht Herr Ferguson auch wenig Hoffnung auf ein besseres Management bei der nächsten Katastrophe.
Fazit: Die drei vorgenannten Bücher weisen aus jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln auf mögliche Fehlstellungen in Bezug auf das tatsächlich herrschende Finanz- und Wirtschaftssystem sowie die drei Gewalten hin. Der Beginn der Fehlentwicklungen, das macht Herr Steingart sehr deutlich, liegt schon vor etlichen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, begründet. Die Kombination dieser Fehlstellungen könnte aber für die Bewältigung zukünftig anstehender Herausforderungen (s. nur hier zu den „Prophezeiungen“ für 2022) das ausschlaggebende Hindernis sein.