Morning Briefing – 27. September 2021 – Nach der Wahl ist vor der Koalitionsverhandlung… neue Farbenspiele

Guten Morgen,

So, das war es dann endlich – Die Wahlen sind rum. Nach dem Desaster hoffe ich dann mal, das wir für vier Jahre wieder Ruhe haben, zumindest im Bund und Berlin. Ich war Sonntag morgens schon um 08:30 Uhr wählen und habe das spezielle Berliner Desaster (hier) gar nicht mitbekommen. Und ich habe erst heute Morgen wieder die Nachrichten gelesen und gehört. Wohl bekomms kann ich dazu nur sagen. Hier mal die ersten Analysen anderer (und meine darunter) zur Bundestagswahl (die nächsten Tage bereite ich mal das spezielle Berliner Debakel auf):

Handelsblatt: https://www.handelsblatt.com/audio/podcast-morning-briefing/audio-27-september-morning-briefing-fuer-die-ohren/27651192.html

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl-2021/ergebnisse-der-wahl-union-verliert-ihre-bastion-60plus-gruene-sind-bei-akademikern-stark-die-wahl-in-zahlen/27649266.html

Ich stehe ja nicht so auf das Hurrablatt, aber das Morning Briefing im Allgemeinen und das heutige im Besonderen ist echt lohnenswert….Und auch die ersten Analysen zu den Wählern ist gut.

Steingart: https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=2mbECqf20433

Gute Zusammenfassung und erste Analyse auch von Herrn Steingart.

Meine erste Analyse:

1. Die Wahlbeteiligung lag mit 76,6 % auf dem gleichen Niveau, wie 2017 (hier), die gute Nachricht ist also, dass die Partei der Nichtwähler nicht noch weiter angestiegen ist. Der Anteil der „Sonstigen“ ist von 5% in 2017 auf 8,6% in 2021 gestiegen (hier).

2. Rein Zahlenmäßig ist die CDU der Wahlverlierer (-8,9%), Gewinner die Grünen (+5,8%), aber nur knapp vor der (totgeglaubten) SPD, die +5,2% mehr Stimmen holt. Die FDP hat von den ganzen Freiheitsdiskussionen rund um Corona (s. nur bei mir hier) Null profitiert (also +0,7%), s. Grafik hier.

3. Entgegen dem (Zerr-?) Bild, welches der ÖRR von der „jungen Generation“ zeichnet, haben die wohl die FDP favorisiert (hier) und die Ü60-Generation hat sich von der CDU abge- und der SPD zugewandt (hier). Die „Jungen“ haben aber eh nix zum sagen: Der Anteil der Wahlberechtigten zwischen 18 und 49 Jahren an der Gesamtbevölkerung beträgt 42,2%, der Anteil der Ü60-Jährigen dagegen 38,2% (hier). Sie stellen damit seit 2017 die größte Wählergruppe (hier).

4. Wahlen werden in der Mitte gewonnen, die Extremen beider Seiten hatten keine Chance, wie das schlechte Abschneiden von AfD, Herrn Maaßen und der SED-Nachfolgepartei zeigt. Aber diese „Mitte“ ist in den Merkel-Jahren spürbar nach links gerückt, sprich, SPD, Linke und Grüne erreichen mehr Stimmen, als die CDU und AfD. Das bestätigen auch die „Wählerwanderungen“ (hier, Der Spiegel: „Verloren hat die Union die Wahl in der politischen Mitte. Und gleichzeitig hat sich diese politische Mitte nach links verschoben.„).

5. Wie ich schon nach der Bundestagswahl 2017 schrieb (hier), „passt“ auch das jetzige Wahlergebnis zur fortschreitenden Heterogenesierung der Gesellschaft, wenn man sich die Sinus-Millieustudie ansieht (hier). Wobei sich letztendlich „der Wähler / die Wählerin“ scheinbar eine Fortsetzung der Politik Merkels gewünscht hat – und darum die „männliche Raute“ (s. SZ-Cover hier) häufiger wählte, als alles andere. Mal schaun, was das Überraschungsei SPD dann jetzt so im Tagesgeschäft präsentieren wird. Noch am Freitag hatte ich in einer Diskussionsrunde zu Kevin Kühnert gemeint: „Und Herr Kühnert wird Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zuständig für die Durchsetzung der Politik der Nationalen Champions….Dann kann er endlich BMW enteignen.“ ich würde mich auch nicht wundern, wenn Herr Lauterbach Gesundheitsminister wird.

6. Die Demoskopen lagen – zumindest im Endspurt – nach einer ersten Durchsicht wohl nicht so neben dem tatsächlichen Wahlergebnis (hier), wobei schon interessant wäre, die Unterschiede zwischen Briefwählern und Direktwählern zu sehen. Denn letztere dürften sich zu großen Teilen schon entschieden gehabt haben, bevor Herr Laschet seine (demoskopische) Aufholjagd startete (hier). Der sog. „Bandwaggon-Effekt“ hätte demnach für Herrn Scholz und nicht für Herrn Laschet gearbeitet. Bei einem derartig knappen Ergebnis kann das schon Einfluss gehabt haben.

7. Der Bundestag wächst zwar weiter, aber der Albtraum von 1.000 Abgeordneten (hier) wird zum Glück nicht wahr, denn es gibt „nur“ 26 Mandate mehr (hier).

8. Und nu? „Ampel“ gegen „Jamaika“? Für Rot-Rot-Grün reicht es rein rechnerisch nicht (353 von 753 Sitzen, s. hier), genau so wenig, wie rot/grün. Lediglich rot-schwarz wäre als Zweier-Konstellation (theoretisch) möglich. Thematisch sieht Herr Müller vom Spiegel SPD, CDU, FDP und die Grünen jeweils thematisch eng beieinander (hier):

„Während in der Endphase des Wahlkampfs derzeit noch lautstark Unterschiede betont werden, illustriert eine statistische Analyse der Wahlprogramme, die wir soeben im Rahmen unseres Forschungsverbunds DoCMA veröffentlicht haben, dass sich Grüne und FDP inhaltlich so nahe sind wie nie zuvor in den vergangenen 30 Jahren. Auch in den potenziellen Dreierkonstellationen »Ampel« (plus SPD) und »Jamaika« (plus Union) erreichen sie bislang nicht gemessene Übereinstimmungswerte.“

Dementsprechend wären nun eigentlich alle möglichen Dreier-Farbspiele möglich. Und unter der Beteiligung jeweils einer der ehemaligen Volksparteien hätte jeder dieser Farbkombinationen eine Mehrheit. Aber das war halt auch das Marktgeschrei der WAHLPROGRAMME. Jetzt können wir sehen, wieviel Übereinstimmung denn wirklich ist. Vor der Wahl bereits kursierte allerdings schon eine Ministerliste für die Ampel, die angeblich der Seeheimer Kreis erstellt hat (hier). Die wollten also schon Butter bei die Fische packen. Ich würde Herrn Laschet noch nicht ganz abschreiben, dafür war er vorher schon in anderen kritischen Phasen zu zäh.

Fazit: (Zum Glück?) lag ich mit meiner Einschätzung (besser: Befürchtung) von Grün-Rot-Rot im Bund daneben. Hätte ich nicht gedacht, dass die Grünen und die SED (Nachfolge-)Partei so schlecht abschneiden würden, angesichts des Pushs, den gerade die öffentlich-rechtlichen Medien verbreitet haben. Trotz der Stimmengewinne sind die Grünen für mich neben der CDU aber die eigentlichen Wahlverlierer – ihre Hybris haben sie nicht in Mandate umsetzen können. Direkt danach folgt für mich die FDP, die nicht in der Lage war, eine freiheitliche Stimmung in Deutschland zu erzeugen. Und ja, die SPD hat gewonnen – aber wohl eher, weil die anderen so fulminant „underperformed“ haben und „der Wähler / die Wählerin“ eigentlich nur Frau Merkel wieder haben wollte – was Herr Scholz verkörperte. Inhaltlich halte ich die SPD für genau so ausgezehrt, wie die CDU. Nunmehr gehandelte Personen für höhere Ämter (Herr Kühnert, Frau Esken oder auch Herr Lauterbach) belegen für mich eher diese Ausgezehrtheit und teils extreme Ansichten, die von Herrn Scholz nur überdeckt wurden.

Dennoch, oder gerade deswegen, würde ich auf eine „Ampel“ tippen – mit Frau Göring-Eckhard dann als Bundespräsidentin? Sie wissen ja jetzt, wie schlecht ich im Tippen bin….

Und die CDU? Hoffen wir, dass sie sich nach der sich anbahnenden Niederlage erst mal komplett zerlegt – und neben Laschet auch Amthor, Söder & Co. entsorgt werden. Damit sich die Partei Adenauers und Röpkes wieder aufbauen kann für den Zeitpunkt, wo rot-rot-grün den Karren komplett an die Wand gefahren haben wird…. Alleine auch da befürchte ich, dass da wieder nur ein paar Dolche kreisen und solche Dorfdeppen wie Söder die Oberhand behalten, wie weiland Mutti. Und dann geht es wieder von vorne los – eine noch kraftlosere CDU zockt sich an die Macht….

Die nächsten Landtagswahlen finden im März 2022 im Saarland, im Mai 2022 in Schleswig Holstein und in NRW und wohl im Herbst dann in Niedersachsen statt (hier). Da kann man nur hoffen, dass sich die CDU von ihrem gestrigen Debakel erholt – sonst versinkt sie schneller in der Bedeutungslosigkeit, als uns allen lieb sein kann.

Und die Wirtschaft? Während sich die Börse am Tag nach der Wahl ungerührt von einer potentiell linken Regierung zeigt und im Plus liegt (hier), träumt sich „die Wirtschaft“ noch „Jamaika“ herbei (hier). Man wird sehen.

Spruch des Tages: „Demokratie ist ein Mechanismus, der sicherstellt, dass wir genau so regiert werden, wie wir es verdienen.“ – George Bernhard Shaw

Keep calm and carry on!

-tz 

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