Guten Morgen,
Auslöser zu meinem Post zu „Grenzgängern der Wirtschaftswissenschaften“ zum letzten Wochenende (hier) war eigentlich der unten folgende Artikel von Herrn Fratzscher, dem ich zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit der Wirtschaftspolitik unter Kanzlerin Merkel unterstellte. Im Nachhinein stellte sich dann für mich die Frage, welcher „Doktrin“ denn eigentlich die Wirtschaftspolitik Deutschlands folgt. Klar, werden Sie sagen, der „Sozialen Marktwirtschaft„, wie sie von theoretischen Vorreitern, wie Wilhelm Röpke, begründet wurde. Und wahrscheinlich glauben Sie auch noch an das das sog. „magische Viereck“ nach Art. 109 Abs. 2 GG. Eigentlich ja auch nicht schlecht, aber die Volkswirtschaftslehre selber weiß gerade gar nicht so genau, was ihre Grundlagen sind (s. zuletzt bei mir hier) und dementsprechend gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten, die sich gut an den sie vertretenden Personen festmachen lassen, wie die nachfolgende Übersicht zeigt:
Wenn der einflussreiche Ökonom und Mitglied der Wirtschaftsweisen Marcel Fratzscher (s. kritische Stimmen hier und hier) in der Zeit die aktuelle „Wirtschaftspolitik“ anzweifelt („Die Illusion der guten Wirtschaftspolitik“), dann erscheint das auf den ersten Blick bemerkenswert. Liest man den Artikel unter der Überschrift, stellt man aber fest, dass er der Meinung ist, dass Frau Merkel alles richtig gemacht habe – aber man nunmehr doch mehr Merkel bräuchte. Sehr steil die These. Um diese Thesen einzuordnen, sollte man Herrn Fratzschers Stellung in der ökomischen Forscherriege einordnen. Und da macht – das muss ich zugeben – das Handelsblatt mal einen echt guten Job. Diese Zuordnung sollte man sich abheften, wenn man etwaige Stellungnahmen von Volkswirten liest.
Der zwischenzeitlich als Vorsitzender „Wirtschaftsweisen“ geschasste Lars P. Feld ist als Vertreter der ordo-liberalen Schule der natürliche Antagonist zu Herrn Fratzscher. Er geht jetzt ins Exil nach Österreich.
Den Artikel habe ich in eine Diskussion auf Linked-In eingebracht und Herrn Weidmann als den letzten Recken bezeichnet, der sich gegen die EZB stemmt. Herr Weidmann steht natürlich nur für den geldpolitischen Bereich der VWL, aber immerhin scheint auch ehr eher dem „magischen Vierreck“ verhaftet zu sein. Mal schauen, wie lange Herr Weidmann nach Amtsantritt einer grün-rot gefärbten neuen Regierung noch im Amt bleiben wird.
Sinn: https://finanzmarktwelt.de/hans-werner-sinn-inflation-ezb-207340/
Auch Hans-Werner Sinn gilt – wie Herr Feld – eher als Vertreter der ordo-liberalen Schule. Er ist seit Jahren emeritiert, aber immer noch gut medial vertreten.
Fazit: Wieder mal (s. schon hier, hier, und hier) konnte ich in Vorbereitung auf den Post am Freitag und heute feststellen, wie wichtig die Kenntnis einiger Grundprinzipien und die Einordnung der in der Presse auftretenden Personen bei der Beobachtung wirtschaftlicher Fragestellungen ist. Denn nicht nur die Theorie machts, sondern vor allem, wie und von wem sie in der Öffentlichkeit vertreten wird.
Die Fragestellung aus der Überschrift („Welcher Doktrin folgt Deutschland eigentlich?“) würde ich derzeit wie folgt beantworten: Zwar führen – bis auf die Linke – alle Parteien noch die „Marktwirtschaft“ an, wenn sie von Wirtschaft reden. Schaut man aber auf die „herrschende“ Meinung, so sind die ordo-liberalen Kräfte wohl eher in der Defensive, während „progressive“ Kräfte die Meinungsführerschaft übernehmen. Aber auch bei den vorgeblich „Konservativen“ im politischen Geschäft scheint „ordo-liberal“ nicht mehr so hoch im Kurs zu stehen, wie die Äußerungen von Herrn Altmaier zu „nationalen Champions“ belegen (s. bei mir nur hier).
Spruch des Tages: „Die wachsende Sozialisierung der Einkommensverwendung, die um sich greifende Kollektivierung der Lebensplanung, die weitgehende Entmündigung des einzelnen und die zunehmende Abhängigkeit vom Kollektiv oder vom Staat – aber damit zwangsläufig auch die Verkörperung eines freien und funktionsfähigen Kapitalmarktes als einer wesentlichen Voraussetzung für die Expansion der Marktwirtschaft – müssen die Folgen dieses gefährlichen Weges hin zum Versorgungstaat sein, an dessen Ende der soziale Untertan und die bevormundete Garantierung der materiellen Sicherheit durch einen allmächtigen Staat, aber in gleicher Weise auch die Lähmung des wirtschaftlichen Fortschritts in Freiheit stehen wird.” — Ludwig Erhard „Wohlstand für Alle“, S. 290:
Keep calm and carry on!
-tz