Auch wenn ich meinen Blog derzeit nur auf Sparflamme und eher als Kriegstagebuch betreibe (Erläuterung dazu hier), so will ich gleichwohl, wie im MB vom 8. Dezember 2021 versprochen (hier), nachfolgend auch (m)eine Bilanz der ersten 100 Tage der amtierenden Ampel ziehen und schauen, wie es weitergehen könnte:
Nachdem die Süddeutsche ihren „Koalitionstracker“ zu den Projekten der GroKO (hier) bei der Ampel bedauerlicher Weise nicht fortführt, hat der Spiegel erfreulicher- und dankenswerter Weise ein „Ampelradar“ aufgestellt, an dem man die Ergebnisse der Koalition an Hand der im Koalitionsvertrag selbst gesteckten Ziele ablesen kann. Herausragend wichtiger Journalismus. Aber entweder führt beim Spiegel niemand mehr Buch oder aber die Ampel hat noch kein einziges Unterfangen umgesetzt….
Kennzahlen: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/jahreswirtschaftsbericht-2022.html
BMWK – Bericht der Bundesregierung zur Lebensqualität in Deutschland (bmwi.de)
https://www.dw.com/de/angela-merkel-wei%C3%9F-was-gutes-leben-ist/a-36157057
https://zeitung.faz.net/faz/wirtschaft/2022-01-22/f8390a9ab1371b3e20a51e2522a50d11/?GEPC=s3
Herr Habeck möchte mehr Zahlen – und jenseits des platten „BIP“ „Dimensionen der Wohlfarth messbar machen“, vgl. obigen Jahreswirtschaftsbericht 2022, ab S. 79. Ein derartiges neues Kennzahlensystem hatten die Grünen bereits vor der Regierungsverantwortung angekündigt. Insoweit also konsequent. Nicht ganz so konsequent agierte die GrokO, die 2016 (einmalig?) einen Bericht zur „Lebensqualität in Deutschland“ abgeliefert hatte. Böse Zungen behaupten, solche Kennzahlensysteme dienten nur dazu, später verschleiern zu können, warum das BIP sinkt.
Zufriedenheit: https://www.zeit.de/politik/2022-03/bundesregierung-ampelkoalition-zufriedenheit-russland-ukraine-krieg-reaktion
Während die Zufriedenheit mit der Politik der Ampel nach zwei Monaten „nicht so dolle“ war, wächst sie nach drei Monaten Regierungsarbeit doch.
Corona: https://experience.arcgis.com/experience/478220a4c454480e823b17327b2bf1d4
Keine Frage, die Ampel hat Corona „geerbt“ und es ist lediglich eine Korrelation sein, dass die Inzidenzen in Deutschland mit dem Amtsantritt von Herrn Lauterbach ähnlich steil gingen, wie seine Alarmmeldungen. Einzig und allein: Im Gegensatz zu nunmehr ALLEN europäischen Regierungen hat die Ampel sich die Bekämpfung von Corona persönlich auf die Fahne geschrieben.
UKR: https://legonomics.de/2022/03/21/fog-of-war-tag-26/
Wenn es stimmt, dass die USA die damalige BReg schon ab Oktober vor den Einmarschplänen von Herrn Putin gewarnt hat (hier), dann ist der Krieg in der UKR schon deswegen nur bedingt ein „geerbtes“ Problem der Ampel. Denn zum einen gibt es Hinweise darauf, dass die SPD in der GroKo gezielt eine bessere Leistungsfähigkeit der Bundeswehr verhindert hat (nicht nur mit der Verhinderung der Beschaffung von (bewaffneten) Drohnen, hier), sondern auch bei der Erreichung des 2%-Ziels (hier)). Zum anderen hat die BReg dann bis zur Rede von Herrn Scholz am 27. Februar 2022 gewartet, bis sie sich eindeutig positionierte.
Klimaschutz: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/habeck-versorgungssicherheit-wichtiger-als-klimaschutz-17845268.html
„Versorgungssicherheit im Zweifel wichtiger als Klimaschutz“ – diese Aussage von Herrn Habeck dürfte noch für viel Diskussionsstoff bei den Grünen sorgen. Unstreitig dürfte sein, dass Deutschland sich rasch von Lieferungen zur Energieerzeugung erforderlicher Rohstoffe unabhängig machen sollte – auch jenseits von Russland. Sollte das mit alternativen Energien gelingen – um so besser. Aber die kategorische Ablehnung der (verlängerten) Nutzung der Atomenergie dürfte der Ampel noch in dieser Legislaturperiode auf die Füsse fallen.
Inflation: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/03/PD22_100_611.html
Noch vor einigen Wochen habe ich mich in Gesprächsrunden lächerlich gemacht, als ich zweistellige Inflationsraten in Deutschland vorhersagte (ich gehe davon aus, dass wir diese spätestens ab Juni 2022 sehen werden). Aber schon die aktuellen Inflationszahlen stellen die Bundesregierung vor hohe Herausforderungen. Denn selbst Frau Lagarde von der EZB geht mittlerweile von 7% in der Eurozone aus. Schon die Diskussion um „Tankrabatte“ oder „Mobilitätsgeld“ zeigt, dass die Regierung nicht auf diese Themen vorbereitet ist und war. Obwohl die fortschreitende Geldentwertung bereits vor Regierungsantritt ein Thema war und die Inflationsgründe jenseits des Krieges in der UKR liegen.
Über die Frage, ob die Aktienrente nach dem Scheitern der „Riester-Rente“ ein adäquater Ersatz und eine demographiefeste Ergänzung des aktuellen Rentensystems sein kann, ist eine Frage, über die man trefflich streiten kann. Dementsprechend ist es etwas verwunderlich, dass dieses im wahrsten Sinne des Wortes „nachhaltige“ Thema jetzt schon insoweit zumindest wieder eingedampft wird.
Fazit: Normalerweise lässt man einer neuen Regierung (wie auch einem neuen Management) die ersten 100 Tage, damit sie sich erst mal einarbeiten und die ersten Schritte gehen kann, ohne dass gleich die ganze Meute „Skandal“ ruft. Während die damalige rot-grüne Regierung eine relativ ruhige Zeit des Welpenschutzes absolvieren durfte (hier), kam die „Ampel“ mit Corona und UKR gar nicht erst zum Durchatmen. Die Probleme, denen sich die Bundesregierung nunmehr stellen muss, gehen allerdings noch viel tiefer, als die oben von mir kurz skizzierten – durchaus eiligen – Themen vermuten lassen. Constanze Stelzenmüller fasst im The Economist sehr gelungen das Grunddilemma zusammen, dem sich diese Bundesregierung in dieser Legislaturperiode wird stellen müssen (hier): „Deutschland hat seine Sicherheit an die USA ausgelagert, seinen Energiebedarf an Russland und sein exportbedingtes Wirtschaftswachstum an China.“
Die aus dieser Externalisierung resultierende Abhängigkeiten definieren das Aufgabenheft der deutschen Regierung, wie ich schon am Freitag schrieb (hier): „Eine Verteidigung nicht nur Deutschlands, sondern auch des europäischen Nato-Gebietes ohne die USA (die sich um CHN kümmern müssen, sobald „im Westen nichts neues“ herrscht) als Kernmacht mitzutragen und zu finanzieren, eine stabile, klimafreundliche und möglichst autarke Energieversorgung so auszugestalten, dass Deutschland nicht de-industrialisiert wird und dabei die deutsche Wirtschaft weniger exportlastig zu transformieren. Und das alles in einem sich rapide verschlechternden globalen wirtschaftlichen Gesamtklima.“
In geradezu prophetischer Weitsicht verkündete ich im oben verlinkten Morning Briefing vom 8.12.21 dementsprechend: „Wir werden einen Finanzminister der FDP haben, der Steuererhöhungen parallel zu einer Aufhebung der Euro-Schuldenkriterien verkünden muss, einen Klimaschutzminister, der die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern wird und einen SPD-Kanzler (samt SPD-Verteidigungsministerin) der in einen Krieg eintreten wird.“ – Nach einhundert Tagen ist es zwar noch nicht ganz so weit, aber die Ampel hat (wenn sie die Amtsperiode durchhält) noch über 1.200 Tage vor sich – Zeit genug dafür, dass Kanzler und Minister ihrer jeweiligen Klientel möglicherweise genau diese Maßnahmen „verkaufen“ müssen. Aber werden sie das können?
Während die beiden Schwergewichte der rot/grünen Koalition ab 1998 durch ihre Anzüge (Brioni), Zigarren (Cohiba) und etliche andere Äußerlichkeiten im Überschwang der ersten 100 Tagen auffielen, geht es bei den Akteuren der Ampel durchaus handfester zu: Gegen den amtierenden Bundeskanzler ist eben erst eine Strafanzeige wegen Verwicklungen in die Cum Ex-Geschäfte niedergeschlagen worden (hier), die Bundesminister Baerbock und Habeck sind noch Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen im Zusammenhang mit rechtswidrigen Weihnachtsboni (hier), Frau Umweltministerin Spiegel muss sich einige Fragen zu Ihrem damaligen Umgang mit dem Ahrtal-Hochwasser gefallen lassen (hier) und Frau Bundesinnenministerin Faeser verfasst Artikel für linksradikale Medien (hier). Über das Corona-Management von Herrn BMG Lauterbach kann man geteilter Meinung sein und Frau Lambrecht muss beim BMVg noch ankommen, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Bundesregierung in den ersten 100 Tagen ihrer Regentschaft mit einer derartigen Dosis „Realpolitik“ konfrontiert wurde, wie wahrscheinlich keine Regierung der Bundesrepublik vor ihr. Gerne würde sie gestalten, muss aber reagieren. Und die meisten Themen auf der Agenda haben zumindest die Grünen und die FDP nicht und die SPD nur in Teilen zu verantworten. Die Frage ist, ob dieses Personal diesen Aufgaben gewachsen ist. Denn der Druck dürfte noch zunehmen. Dementsprechend dürfte es an ein Wunder grenzen, wenn das Ampelradar des Spiegel gegen Ende der Legislaturperiode vorwiegend auf „grün“ stehen würde. Aber wer weiß, vielleicht werden wir trotzdem zufrieden mit der Ampel sein. Wie sagte Hannah Arendt so schön: „Ich bereite mich auf das Schlimmste vor, ich hoffe das Beste, und ich nehm es, wie es kommt.“ Amen.