Guten Morgen,
Ich gebe es zu: Ich habe mir letzten Samstag auch „Wetten Dass“ angeschaut, für einen Vertreter der „Generation Golf“ war das schon ein wohliges Zurücktauchen in die eigene unbeschwerte Kindheit und Jugend. Zumal der „Second Screen“ Twitter auch ziemlich gnädig mit dem Thema umging. Was aber bedeutet es, dass die Sendung dem ZDF eine Rekordeinschaltquote von fast 14 Mio. Zuschauern brachte, eine Quote, von der jedes einzelne der „Triells“ im Wahlkampf nur träumen konnte (hier)?
Gesellschaft: https://legonomics.de/2020/08/07/morning-briefing-7-august-2020-auseinanderdriftende-gesellschaft/
In Vorbereitung dieses Posts bin ich mal einige meiner (gar nicht so wenigen, s. zum gesamten Thread hier) jeweils aktuellen Betrachtungen der Gesellschaft durchgegangen. Wie auch Frau Wagenknecht in ihrem Buch zu gesellschaftlichen Zuständen in Deutschland (s. dazu bei mir hier), so sehe ich eine sich immer weiter aufspaltende Gesellschaft (so wohl auch das Sinus-Institut in seiner aktuellen Erhebung, hier, mehr dazu folgt). Folge dieser Segregation ist natürlich, dass „wir“ immer weniger ein Gefühl von Gemeinschaft haben.
Wetten Dass?: https://www.bild.de/unterhaltung/tv/tv/wetten-dass-comeback-helenes-traenen-auftritt-78170636.bild.html
https://www.welt.de/kultur/article234935618/Wetten-dass-TV-Total-Co-Nostalgie-nervt.html
Ich hatte irgendwann zu Beginn der Pandemie (ziemlich politisch inkorrekt) gemeint, dass wir jetzt eher Unterhaltung im Stile von „Marika Rökk“, denn irgendeinen Pandemie-Schocker („Contagion“) bräuchten. Die deutschen Zuschauer sehen es scheinbar ähnlich, wenn man die Rekordeinschaltquoten sieht.
Heimat: https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/306148/identifiziert-euch
Obwohl unter dem angesichts der Diskussion um die „Identitären“ nicht gerade glücklichen Titel „Identifiziert Euch!“ erschienen, versucht sich der ehemalige Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert an einer zeitgemäßen Definition des zumindest in Deutschland gefährlichen Begriffs „Heimat“ und fordert uns auf, uns mit „Deutschland“ zu identifizieren. Zumindest für einen Robert Habeck („Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen. Ich wusste mit Deutschland noch nie etwas anzufangen und weiß es bis heute nicht.“) dürfte das Buch wohl eine eher nicht so verheißungsvolle Lektüre bedeuten.
Fazit: Die deutsche Gesellschaft zerfällt zusehends (mehr dazu wahrscheinlich nächste Woche). Daran wird ein sentimentaler „Wetten Dass!“ Abend genau so wenig ändern, wie weiland die Aufforderung zur Diskussion über eine „deutsche Leitkultur“ oder zu einem „Verfassungspatriotismus“. Auch die schlichte Forderung nach „Identifikation“ ist da nicht zielführend. Denn die vorgenannten Begriffe sind abstrakt und vermögen das für eine Gemeinschaft (!) erforderliche emotionale Element nicht abzudecken. „Wetten Dass!“ deckt demgegenüber nur – quasi als „gute alte Zeit“ (in der ja bekanntlich alles besser war, als „Twix“ eben noch „Raider“ hieß) – nur den emotionalen Aspekt ab. Dass die (deutschen) Menschen aber auch emotionale Momente brauchen – die Lagerfeuermomente – um eine gemeinsame Identität (!) zu entwickeln und zu bewahren, macht nicht nur die Sendung mit Tommy Gottschalk deutlich, sondern auch Aufstieg und Fall (und Wiederaufstieg?, s. hier) der „Mannschaft“ oder das aktuelle Drängen der Jecken im Kölner Karneval (hier, Corona lässt grüßen….). Wem wird es gelingen, zumindest einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der rationalen und emotionalen Identifikation mit Deutschland zu „entzünden“?
Spruch des Tages: „Niemand ist reaktionär, weil er Wetten, dass guckt, und erst recht niemand progressiv, weil er das Wettendassgucken anderer Leute für reaktionär hält.“ – @wolflotter (Twitter)
Keep calm & carry on!
-tz