Morning Briefing – 30. August 2021 – Sicherheitslage – Afghanistan – da war nichts „überraschend“!

Guten Morgen,

ich habe mich jetzt so über die „Regierungserklärung“ der Bundeskanzlerin zu Afghanistan in der letzten Woche aufgeregt, dass ich einen letzten aktuellen Blick auf die angeblich „überraschenden“ Entwicklungen in AFG werfen will, weil sie offenbaren, wie wenig die sicherheitspolitische Lage Deutschlands von der Bundesregierung mitgedacht wird (s. zuletzt hier) – und das sollte uns auch für andere Bereiche sehr zu denken geben.

Scholl-Latour: https://www.welt.de/politik/deutschland/article126495424/Scholl-Latour-erklaert-Afghanistan-fuer-verloren.html

Im Jahre 2014 bezeichnete Peter Scholl-Latour den Einsatz bereits als gescheitert…

US-General: https://nypost.com/2021/08/24/how-we-as-a-nation-and-i-as-a-military-officer-failed-in-afghanistan/

„But I failed to believe what I was seeing with my own eyes — that the most effective Afghan units were actually those that looked a lot like the Taliban. Those were the units led by US Green Berets, which moved with speed in pickup trucks, wore no boots or helmets, yet knew the people and the culture. I was part of the problem.“ – zumindest ehrlich ist er…

KSK-Offizier: https://www.focus.de/politik/ausland/ex-ksk-soldat-too-late-too-little-wenn-es-darauf-ankommt-muss-es-die-gescholtene-bundeswehr-richten_id_16839351.html

„Trigger Points“ wurden nicht beachtet – aber von wem nicht? Nachrichtendienstlern oder Politikern?

Patenschaftsnetzwerk: https://www.focus.de/politik/deutschland/in-zdf-talk-als-soldat-von-fuenf-afghanistan-briefen-an-merkel-erzaehlt-ist-lanz-fassungslos_id_20893484.html

Fünf Briefe von Anfang Juni bis Mitte Juli schrieb der Vorsitzende des Patenschaftsnetzwerks ans Kanzleramt, er erhielt jedoch nach eigener Ausssage keine Antwort …

BMVg: https://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-flucht-ortskraefte-1.5385870

Das BMVg hatte für den 25. Juni 2021 zwei Chartermaschinen bestellt, um Ortskräfte auszufliegen. Dies scheiterte am deutschen Behördenmikado. Das BMVg wird den Zinnober aber wohl nicht veranstaltet haben, weil die Sicherheitslage in AFG so gut war.

Zerohedge: https://www.zerohedge.com/political/they-knew-leaked-state-department-memo-warned-afghanistan-collapse

https://www.wsj.com/articles/confidential-state-department-cable-in-july-warned-of-afghanistans-collapse-11629406993

Das US State Department wusste seit dem 13. Juli 2021 um die brisante Lage…

Fazit: Wer ist noch gleich der oberste Geheimdienstkoordinator? Ach, der Kanzleramtschef? Das ist doch Herr Helge Braun, oder? Und der hat also trotz der Aktivitäten des BMVg zum Ende der Mission und trotz Briefen zumindest des Patenschaftsnetzwerkes nichts gewusst? Und auch vom Kabel ans US State Department vom 13. Juli nichts mitbekommen? Sorry, aber da braucht man keinen „Bundessicherheitsrat“ oder ähnliche Pseudo-Konstruktionen. Es ist genau, wie bei 9/11 – die Informationen lagen auf dem Tisch, es hat sie nur keiner ausge- und bewertet. Ob willentlich oder nicht, spielt keine Rolle. Die konkrete Lageentwicklung hat sich wahrscheinlich spätestens ab dem 20. Juli 2021 abgezeichnet – und damit war am 15. August 2021 (dem Tag, als die Taliban Kabul eingenommen hatten, hier) nichts mehr „überraschend“, zumindest wenn man die Geschwindigkeit der Lageentwicklung in Krisensituationen allgemein und in Kriegen im Besonderen gewohnt ist.

Und die späte Erkenntnis des oben zitierten US-Generals bezüglich des sich wahrscheinlich schon längerfristig abzeichnenden Scheiterns in AFG lässt tief blicken, spricht sie doch dafür, dass die von den US Generälen Petraeus und McChrystal seinerzeit zunächst im Irak und dann in Afghanistan erfolgreich umgesetzte Strategie des „Partnerings“ dann doch nicht so konsequent weiter betrieben wurde. Und auch diese Strategie war eigentlich ein (modernisierter) Ansatz, den die US-Armee bereits im Vietnam-Krieg verfolgt hatte, mit dem sog. „Wehrdörfer-Programm„.

Und aus deutscher Sicht kann man damit der NZZ sowohl aus lang- wie auch aus kurzfristiger Sicht nur zustimmen: „Afghanistan war Merkels Krieg – und sie hat ihn verloren“ (Danke, Alex). Weiterhin belegt das Afghanistan-Desaster, dass Frau Merkel zumindest mittlerweile kein Gespür für die sicherheitspolitische Lage mehr hat (hier) und ihr das augenscheinlich auch nicht durch ihren Vertrauten, Herrn Helge Braun, oder ihre Fachminister vermittelt werden konnte. Die Frage ist, ob ihr(e) Nachfolger(in) im Bundeskanzleramt ein besseres Gespür für die sicherheitspolitische Lage entwickeln wird. Es wäre angesichts der Krisenherde im Nahen Osten, entlang der russischen Grenze und Einflusssphäre und im südchinesischen Meer dringend angeraten. Alleine, ich befürchte, man wird auch da wieder von den Entwicklungen „überrascht“ werden.

Spruch des Tages: „Wir können gar nicht auf etwas vorbereitet sein, wenn wir eigentlich glauben, dass es gar nicht geschehen wird“ – Nelson Mandela

Keep calm and carry on!

-tz 

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