Fog of War – 28. Juni 2022 – Tag 125

Litauen bekommt den Unmut des Kreml nun auch in Form eines Cyberangriffs zu spüren (hier). Das dürfte eine der Antworten des Kreml auf die Durchsetzung des Embargos auch auf der Suwalkie-Lücke auszudehnen (s. bei mir hier). Generell dürften die Balten-Staaten und die Ostsee mehr in den Fokus des Kreml rücken:

Lage: https://twitter.com/DefenceHQ/status/1541656772695531521 (Lage)

https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/wie-weit-sind-die-soldaten-aktuelle-karte-der-russischen-invasion-in-der-ukraine/ (Karte)

https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-june-27

Während die RUS Kräfte nach der Einnahme von Sjewjerodonezk nunmehr versuchen, die Stadt Lyssytschansk einzunehmen, scheint der personelle Aufwuchs der RUS Truppen nur schleppend zu verlaufen. Der Kreml sucht eine Generalmobilmachung (noch?) zu vermeiden, aber gleichzeitig seine BTG’s (wieder) aufzufüllen. Möglicherweise auch auf Grund der fehlenden Erfolge im Kampfgebiet, hat die RUS Armee wieder begonnen, zivile Ziele mit Raketen zu beschießen. Dabei werden wohl auch Raketen aus sowjetischer Bauart verwandt. Getroffen wurde u.a. ein Einkaufszentrum, es gab mehrere tote und verletzte Zivilisten.

Strategie: https://www.welt.de/politik/ausland/article239596305/Krieg-in-der-Ukraine-Moeglicherweise-konzentrieren-die-Russen-alle-Kraefte-um-geschlossen-Kiew-anzugreifen.html

https://www.focus.de/politik/bundeswehrserie-nachgefragt-werden-luftwaffe-und-marine-sehen-bundeswehr-oberst-erklaert-was-putin-in-der-ostsee-plant_id_107993865.html

Angesichts des schleppenden Verlaufs des Feldzuges im Osten der UKR stellt sich natürlich auch für Herrn Putin die Frage nach Optionen. Ex-General Kather schließt nicht aus, dass die RUS Kräfte versuchen könnten, in einem konzentrierten Angriff (über Belarus), Kyiv einzunehmen. Schaut man auf die Karte und die derzeitigen Aktivitäten in Belarus, so erscheint diese Option nicht abwegig. Die Einnahme Kyivs durch RUS Kräfte wäre zumindest ein Propagandaerfolg. Angesichts der derzeitigen Schwäche der RUS Armee wäre der Versuch der Einnahme in meinen Augen eher eine Verzweiflungstat.

Die Einschätzung von Oberst Feldotto, wonach RUS verstärkt Aktivitäten seiner Luftwaffe und Marine in der Ostsee entfalten wird, ist allerdings sehr plausibel: Die Durchsetzung der Boykott-Maßnahmen durch Litauen und die damit einhergehende Beschränkung der Versorgung der RUS Exklave Kaliningrad über den Landweg (s. Kommentierung hier) dürfte zu einer erhöhten Versorgungsfrequenz über den Seeweg führen. Auch kann RUS so eine – wohl relativ gefahrlose – „Show of Force“ im Ostseeraum durchführen.

G7: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/g7-gipfel-in-deutschland-der-gipfel-der-den-westen-retten-muss-kolumne-a-9f41b909-e950-4ccf-8509-713206dc1add?sara_ecid=nl_upd_1jtzCCtmxpVo9GAZr2b4X8GquyeAc9&nlid=91qfnm5f

Sehr lesenswerter Kommentar von Henrik Müller zur Geschichte und Rolle der G7 – Resumée: Nie waren sie so wertvoll wie heute.

Nato: https://www.welt.de/politik/ausland/article239593707/Nato-will-Zahl-der-schnellen-Eingreifkraefte-auf-ueber-300-000-erhoehen.html

Nun ja, wenn man weiß, welche Mühe die Nato hat, die jeweils aktuellen NRF-Kräfte zusammenzubekommen und wenn man sieht, welche Waffensysteme gerade an die UKR vergeben werden, dann ist das Ziel der mehr als Versiebenfachung der Kräfte, na sagen wir, „ambitioniert“. JETZT bewahrheiten sich die Worte, die der legendäre GM Trull anläßlich seiner Verabschiedung im  Jahre 2005 (!) äußerte, dass alles das, was wir jetzt abbauen, zehn Jahre benötigt, um es wieder aufzustellen (hier, bei mir schon hier beleuchtet).

BdL: Die Raketenangriffe RUS auf zivile Ziele könnte ein Zeichen der Schwäche sein, denn die militärische Wirkung dieser Angriffe ist null. Zur Zeit kommt RUS aber auch im Osten der UKR nicht richtig voran. Das Ziel der Raketenangriffe könnte durchaus die Terrorisierung der UKR Zivilbevölkerung sein (so Robin Horsfall, hier).  Aber so wenig, wie die „Wunderwaffe“ V2 von Adolf Hitler die Engländer entmutigt hat, genau so wenig werden Raketenangriffe die UKR Bevölkerung umstimmen. RUS wird – neben der Terrorisierung der UKR Bevölkerung –  versuchen, den Westen zumindest „zu beschäftigen“. Von daher ist mit verstärkten RUS Aktivitäten in der Ostsee und im Luftraum darüber zu rechnen. Zwar hat die Nato die Gefahren erkannt und versucht, gegen zu steuern. Aber der jetzt angekündigte Aufwuchs der NRF hat zunächst einmal nur symbolischen Charakter. Die Umsetzung dieses Planes wird Jahre dauern, selbst wenn die Nato-Staaten sich wirklich auf diese Aufgabe fokussieren würden – was sie im Zweifel nicht tun werden.

Spruch des Tages: “If You Fail to Plan, You Are Planning to Fail” — Benjamin Franklin

Keep Calm & Carry on

-tz

& BTW: Путин, иди на хуй!

2 Gedanken zu „Fog of War – 28. Juni 2022 – Tag 125“

  1. Grüezi Herr Beissenhirtz,
    Sie haben jetzt 125 Tage über den Krieg berichtet. Und das im besten Wissen, dass Sie daran sowieso nichts ändern können.

    Das Thema ist wichtig und man muss dran bleiben. Aber ich sehe es nicht als Ihre Aufgabe an. Sie und Ihr Wissen sind an anderer Stelle wichtiger. Machen Sie nicht Putin die Hölle heiss (er kennt Sie ja gar nicht), sondern anderen.

    Es gibt auch in Deutschland Dinge aufzuarbeiten.
    Nimmt man mal diese Inflation. Würde ich Sie ganz konkret fragen, woher diese Inflation kommt, kämen die Standard-Antworten die wir alle kennen – Corona, Krieg, Lieferketten, usw. Nur, das sind nicht die Ursachen der Inflation, sondern aller höchstens Begleitumstände.

    Würde ich Sie fragen, aus welchem ökonomischen Glaubenssatz Sie diese Inflation ganz genau ableiten, würde es schon schwieriger. Obige Argumente zählen nicht.
    Dann sind wir ziemlich schnell bei der Währungsunion.

    Die Politik hat der EZB eine unlösbare Aufgabe gestellt. Sie hat nicht nur Preis- und Währungsstabilität der EZB als Mandat übertragen. Denn damit könnte man mit steigenden Zinsen problemlos die Inflation bekämpfen, wie es die SNB auch tut.

    Sie hat gegenteilig der EZB auch gleich noch die Verschuldung als Aufgabe aufgebürdet, also Fiskalpolitik. Und hier müssen unbedingt die Zinsen tief bleiben, oder Italien steht vor dem Zahlungsausfall. Das Rating fällt, die Zinsen steigen weiter, was einen Teufelskreis nach sich zieht.

    Deutschland muss den Euro verlassen. Oder aber die Inflation steigt weiter, wird durch eine Stagflation abgelöst und kaum erkannt, ist Massenarbeitslosigkeit das Thema.
    Deutschland und seine Gerichte konnten sich 10 Jahre durch Machtmissbrauchsvorwürfe (ultra vires) durch mogeln. Jetzt stehen wieder Entscheidungen vor dem BVerfG an.

    Ich sehe Ihre Aufgabe hier. Sie werden an dieser Front gebraucht.

    Freundlicher Gruss aus der Schweiz.

    1. Hallo Herr Leutwyler,

      vielen Dank für Ihren Kommentar, dazu gleich. Es freut mich aber auch sehr, von Ihnen zu hören. Hoffe, Sie haben die Corona-Zeit gut überstanden?!?

      Zu Ihrem Kommentar: Ich teile Ihre Einschätzung zur aktuellen wirtschaftspolitischen Lage und eigentlich ist die (selbstgestellte) Aufgabe meines Blogs ja tatsächlich, dem deutschen Normalbürger diese (prekäre) Lage näher zu bringen und die Hintergründe zu erläutern. Aber: Wenn wir keine außenpolitische Sicherheit haben, dann ist alles nichts. Und der wiederrechtliche Angriff RUS auf die UKR belegt anschaulich, wie wackelig unsere äußere Sicherheit ist – und zwar nicht erst seit dem 24. Februar 2022.

      Die Ignoranz der deutschen Politik in den letzten Jahren hat uns in diese Lage gebracht. Aber selbst dann, wenn sich die Krise manifestiert, „schaltet“ sie nicht um, wie ich frustriert am 25. Februar 2022 konstatieren musste (https://legonomics.de/2022/02/25/25-februar-2022-ich-bin-sprachlos/). Und das gilt, wie wir jetzt sehen, nicht nur für kriegerische Handlungen, sondern z.B. auch für die Sicherstellung der Energieversorgung Deutschlands. Dagegen kann sich die deutsche Politik bei Corona vor Regelungswut kaum zügeln.

      Das wäre aber alles nicht so schlimm, wenn der/die deutsche Michel*inne sich dem entgegen stellen würde. Tut er/sie/es aber nicht. Vielmehr ist scheinbar immer noch nahezu die Hälfte der deutschen Bevölkerung für eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen (https://www.welt.de/politik/deutschland/article239694159/Corona-Fast-jeder-Zweite-fuer-Verschaerfung-der-Massnahmen.html), nur zwei Drittel sieht die Kriegsschuld bei RUS (https://www.rnd.de/politik/umfrage-nur-66-prozent-der-deutschen-machen-russland-fuer-angriffskrieg-verantwortlich-BCPAFKAR5AYHAAQ2JC5M4KJHCQ.html), etc. pp. Sprich, es bewahrheitet sich fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges erneut die Einschätzung, die die US-Kriegsberichterstatterin Lee Miller über die Deutschen hatte: „Deutschland ist ein schönes Land – mit Dörfern wie Juwelen und zerbombten Stadtruinen – und wird von Schizophrenen bewohnt.“ Denn wir nehmen gerne die Sicherheitsgarantien der Amerikaner, gerieren uns aber ansonsten gegenüber den Amerikanern als Moralapostel. Wir schaffen eine Energieabhängigkeit von RUS und beachten jetzt nicht den Pfahl China in unserem Auge – weil es ja sonst wirtschaftliche Nachteile geben könnte.

      Und ich bin – nachdem ich bereits im Juni 2007 vor der bevorstehenden Finanzkrise gewarnt hatte und dafür von deutschen Bankern belächelt wurde und seitdem meine Risikoeinschätzungen beständig verbessert habe – nunmehr dieser Doppelstandards müde. Wirklich müde. Und dabei übersehe ich nicht, dass in den oben zitierten Umfragen eben auch 51% der Deutschen gegen eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen sind und 66% RUS die Schuld am Krieg in der UKR geben. Vielleicht fange ich für diese Teile der Bevölkerung irgendwann wieder an, mich an den Themen abzuarbeiten, die wir hier diskutieren (So ganz lassen kann ich es ja nicht, wie meine Posts über die Inflation zeigen, s. zuletzt hier: https://legonomics.de/2022/07/01/inflation-jetzt-haben-es-auch-die-zentralbanker-begriffen/).

      Aber zunächst einmal werde ich mich weiter am Krieg abarbeiten – und sei es auch nur, um ihn chronistisch zu erfassen. Und wenn wir dann im kommenden Winter unseren ersten generellen Blackout hinter uns gehabt haben werden und die Deutschen sehen, dass man eine echte Wirtschaftskrise nicht einfach mit Geld zukleistern kann (auch, weil man keines mehr hat), dann werde ich prüfen, ob ich wirklich weiter mache.

      Viele Grüsse,

      -tz

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