„Es kommt nicht darauf an,
die Zukunft vorauszusagen,
sondern darauf, auf die Zukunft
vorbereitet zu sein.“
(Perikles, 495-429 v.Chr.)
Ich hatte mir ja eigentlich geschworen, dass ich an dieser Stelle nichts zum Brexit sagen würde – zumal ich in meiner Kurzfristschätzung völlig daneben lag. Ich bin nämlich am Donnerstag Abend entspannt und in der sicheren Erwartung ins Bett gegangen, dass der Volksentscheid scheitern würde (da hätte ich mal lieber meine eigene Prognose aus dem Februar noch mal lesen sollen). Am Freitag Morgen rieb ich mir dann ob der Schlagzeilen die noch müden Augen, denn da war er, der befürchtete „schwarze Schwan“: fast 52% der Briten hatten für den Brexit gestimmt. Und dies könnte – unabhängig von der „eigentlichen“ Bedeutung nunmehr der befürchtete „Tipping Point“ sein, bei dem das fragile Schuldengebirge, in das sich die Weltwirtschaft in den letzten Jahren entwickelt hat, „umkippt“ (dazu mehr unten).
Und dann kam der Moment, warum ich jetzt hier doch über den Brexit schreibe: In meinen Augen waren die ersten Reaktionen der Presse auf diesen unerwarteten Ausgang des Referendums zum Teil unverschämt gegenüber der Mehrheit der Briten, die für den Exit gestimmt hatten („Britischer EU-Austritt: Sieg der Angst„), zum Teil auch – gerade angesichts der historischen Dimensionen – lächerlich („Muss Schweinsteiger die Insel verlassen?“). Erst nach und nach kamen dann auch – häufig abseits der Main-Stream-Medien – mal andere Stimmen zu Wort, die nicht jeden Briten, der für den Brexit war, als „dumme weiße Männer“ bezeichneten. Etwa von Charles Moore, der im Telegraph meinte, dass die europäische Elite vielleicht vergessen hat, dass die Briten die Demokratie sehr hoch halten. Angesichts des Versuches, der Europäischen Union, die Ratifizierung des CETA-Freihandelsabkommen mit Kanada an sich zu ziehen, vielleicht ein nicht ganz so abwegiger Gedanke. In ein ähnliches Horn stieß Die Zeit, die forderte, dass „Europa muss noch bürgernäher werden“ (wobei in den Leserkommentaren mehrfach süffisant das „noch“ kommentiert wurde). Aber auch die Nachdenkseiten offerierten mit dem Bonmot „Jedem Ende wohnt ein Anfang inne“ mal eine etwas differenziertere Ansicht, als das in den ersten 24 Stunden nach der Bekanntgabe des Ergebnisses übliche „Briten-Bashing“ der angeblichen Leitmedien. Auch die Achse des Guten wußte mit mehreren Kommentaren zu brillieren („Es gibt Alternativen zur EU“ oder „Wagenburg Brüssel„). Die erste einigermaßen sachliche Analyse der wirtschaftlichen Folgen des Brexit (die ich nicht unbedingt teile), kam dann vom Independent Trader.
Aber, vielleicht zeigte sich in den ersten eher unsäglichen Reaktionen der Medien (und auch der Vertreter der europäischen Institutionen, die im Angesicht dieser Entscheidung „weiß vor Wut“ waren und ein „mehr“ an Europa forderten) auch schlicht die Überforderung angesichts des augenscheinlich auch für sie überraschenden Ausgangs des Referendums. Wie es scheint, hat der Ausgang nämlich eben nicht nur mich (der ich mich auf die Wettbüros der Insel verließ, die eine 80:20 Quote für einen Verbleib der Briten in der EU ermittelt hatten), sondern auch die berühmten „Märkte“ überrascht. Anders ist weder der Anstieg der Börsenkurse vor noch ihr Einbruch nach der Bekanntgabe der Ergebnisse zu erklären. Die „Märkte“ hatten fest mit einem Verbleib der Briten in der EU gerechnet – es kann halt nicht sein, was nicht sein darf.
Denn die Folgen, die die Abstimmung gezeitigt hat, sind jetzt schon gewaltig und gehen weit über Großbritannien hinaus: Die führenden Ratingagenturen haben Großbritannien das Spitzenrating entzogen. Die Aktien aller europäischen Banken sind seit der Entscheidung zum Teil um über 20% eingebrochen, so weit, dass sich zunächst die EZB bereits am Freitag gezwungen sah, als Sofortmaßnahme zur Stabilisierung Euro 400 Mrd. (Milliarden!!!) in die Banken zu pumpen und nun die italienische Regierung erwägt, nationale Banken mit Euro 40 Mrd. zu stützen. Ich will da mal nicht so kleinlich sein und stelle nicht die Frage, wie sich das alles mit geltendem europäischem und nationalem Recht vereinbaren lässt. Aber die „Story“, die damit ja einhergehen müsste, um die „Märkte“ zu beruhigen, wird wohl gerade noch geschrieben.
Auf der anderen Seite können wir wohl alle froh sein, dass zumindest die EZB entweder auf einen Brexit vorbereitet war oder zumindest am Freitag spontan reagiert hat. Denn, unterstellt, die Euro 400 Mrd. (!!!) als Soforthilfe waren tatsächlich erforderlich und dienen nicht der Absicherung von Bankerboni, können wir ja alle froh sein, dass nicht schon am Freitag die ersten europäischen Banken pleite gegangen sind.
Die Politiker aller Seiten und Institutionen wurden – soviel ist nunmehr klar -vom Votum der britischen Bürger völlig unvorbereitet getroffen – einen Plan B gab es nicht (und die Behauptung von Finanzminister Schäuble, man habe einen Geheimplan, mutet sowohl angesichts der Tatsache, dass sowohl er als auch die europäischen Institutionen noch Tage vor dem Brexit ausgeführt hatten, dass man eben keinen Plan B habe als auch wegen der Kürze des vorgebelichen „Geheimplans“ von acht (8!) Seiten, da schon fast dreist an).
UND DAS IST DAS WIRKLICHE PROBLEM DIESES VOLKSENTSCHEIDS: Im Gegensatz zu anderen politischen Risiken, wie z.B. der Ukraine-Krise, der Krise im süchinesischen Meer oder der weltweiten Schuldenkrise, die alle verschiedene Ergebnisoptionen beinhalten, war der Brexit eine „0-oder-1“, „rein-oder-raus“-Entscheidung, es waren also nur zwei Entscheidungsoptionen gegeben. Wenn sich weder die nationalen noch die europäischen Institutionen auf das nun eingetretene Ergebnis vorbereitet haben – und sowohl was die Äußerungen, als auch was die Handlungen in den ersten Tagen betrifft, muss man davon ausgehen, dass sie IMMER NOCH keinen Plan haben – dann dürfte die Fähigkeit dieser Politiker und Institutionen, „wahren“ Black Swan Events, also tatsächlich überraschenden krisenhaften Ereignissen, effektiv zu begegnen, äußerst beschränkt sein, um es einmal vorsichtig auszudrücken.
Vielleicht auch deswegen werden Stimmen nach einem zweiten Referendum laut, um das erste zu korrigieren. Wenn das der Plan B ist, na, dann Hosianna!