Neulich musste ich echt an mich halten, dem früheren Chefredakteur der Financial Times Deutschland und jetzigen GF einer Springer-Tochter nicht mit politisch ziemlich unkorrekten Worten mal ordentlich die Meinung ob seiner – unter dem Label „Axel Springer“ – mit Hilfe eines Videos verbreiteten unterschwelligen Forderung nach Verhängung eines Ausgangsverbotes zu geigen (hier). Nicht ganz ironiefrei fragen einige der Foristen unter dem von ihm publizierten Video denn auch, wieso er – so als vernünftiger Mensch – überhaupt draußen war und das Video drehen konnte. Schon seit nunmehr zwei, drei Wochen schrecken mich diverse Meldungen und „Warnungen“ „wohlmeinender“ Journalisten (s. nur hier und hier), aber auch angebliches „Diskussionen“ unter Medizinern und „Krisenexperten“ (hier und hier), auf. Allen ist gemeinsam die (plötzliche?) vorgebliche Sorge um die Menschen – die sich doch alle (?) nicht richtig benehmen – und die man dementsprechend erziehen „muss“. Während sich also scheinbar Experten untereinander anzicken und Journalisten sich als oberste Gralshüter des „Wahren, Guten und Schönen“ gerieren, sitze ich hier mit – wie Sie vielleicht an meiner Wortwahl schon erkannt haben – nicht ganz so entspannter Attitüde. Was der arme Herr Stocker – ebenfalls von Springer, aber der WELT – in der letzten Woche dann auch gleich abbekam (hier). Sorry an dieser Stelle noch mal für meinen Ausfall.
Zum Glück habe ich mich nach meinem Ausfall beherrscht und diesen Post, der seit über einer Woche bei mir rumliegt, nicht in seiner ursprünglichen Version publiziert (erspart mir wahrscheinlich einige Abmahnungen). Was geht also hier und bei mir ab? Der ehemalige Chefredakteur der FTD (und andere) sind mir – im Gegensatz z.B. zu Prof. Dr. Drosten oder Mr. El-Erian oder eben Herr Stocker (!) – im Februar, als das Desaster schon erkennbar wurde, nicht als die großen Mahner aufgefallen (Sie können ja gerne nachlesen, seit wann ich mich mit Corona auseinandersetze (hier)). Aber jetzt kommen diese Herrschaften mit der großen Einsicht daher und wollen Grundrechte beschränken. Sehr gut, sehr weise dazu Sascha Lobo (hier):
„Es bedeutet nämlich: Wenn der richtige Notfall eintritt, ist eine übergroße Mehrheit bereit, Grundrechte über Bord zu werfen. Und Leute übel zu beschimpfen, die das auch nur diskutieren wollen. Die Vernunftpanik verhindert Debatten. Dabei ist auch eine sinnvolle Grundrechtseinschränkung eine Grundrechtseinschränkung, über die diskutiert werden kann und muss. Man kann gegen Ausgangssperren argumentieren und trotzdem kein Massenmörder sein.„
Das ist der Kern. Und wenn ein in der Öffentlichkeit stehender Journalist sich an dem derzeitigen Ausverkauf von Grundrechten – scheinbar mit einem schlecht verkappten NUDGING (meine Meinung dazu hier) – kritiklos beteiligt, gilt bestenfalls noch Willy Brandt: „Journalismus kann abdanken, wenn er harmlos wird.“ Und tatsächlich scheinen sich bereits einige Bundesbürger (auf Grund der oben beschriebenen medialen „Aufforderung“?) mittlerweile dazu bemüßigt zu fühlen, als Blockwarte aufzutreten (s. z.B. hier und hier). Aber es gibt auch Hoffnung, die ich in einem Morning Briefing neulich (hier) so beschrieb:
„Während sich (für mich sehr besorgniserregende!) Zwei Drittel (!) der Deutschen noch stärkere Einschränkungen wünschen (hier), kämpft eine kleine (aber hoffentlich größer werdende) Gruppe gegen diesen Mainstream an, allen voran wieder mal Frau Leutheusser-Schnarrenberger (hier, ja, das war die, die ihren Ministerposten aus Protest gegen den „großen Lauschangriff“ abgab, hier) Aber auch Sascha Lobo, der ja schon letzte Woche mit einem Pulitzer-Preis-würdigen Kommentar glänzte (hier), hebt sich mit seinem Kommentar in dieser Woche (hier) so langsam auf das Niveau von Richard David Precht. An beide und an jeden, der anfängt, sich gegen den Mainstream zu wenden – Chapeau! Zumal ja selbst der Virologe Prof. Dr. Drosten den Nutzen von Ausgangssperren noch gar nicht erkennen kann (hier). Komischerweise hören da die selben Politiker, die sich sonst pausenlos auf ihn berufen, dann nicht so genau hin.„
Und, auch wenn ich die Ansichten und Einschätzungen von Herrn Dr. Wodarg zu Corona (hier) nicht teile, so halte ich die von ihm zumindest in Gang gesetzte Diskussion und Gegenrede zu den bekannten Virologen Droste und Kekulé für wichtig. Denn auch diese Herren sind nur Menschen und nicht unfehlbar (was beide aber auch immer wieder klar machen) und ein „kritischer Frager“ wie Herr Wodarg könnte es auch einer (nicht unbedingt als Virologe ausgebildeten) Presse ermöglichen, selber zu kritischen Fragen in Bezug auf alternative Vorgehensweisen zu finden.
Fazit: 1. Wir brauchen in Deutschland kein Aufräumen von (angeblichen) Fake News – die „Crowd“ bereinigt sich schon selber (auch wenn ich die Diskussionen über Herrn Wodarg schon teilweise überrissen finde, s. nur hier und hier). Aber die mittlerweile nicht einmal mehr verkappte Meinungsmache einiger Möchte-Gern-Influencer beängstigt mich schon sehr. Aber, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ihr habt es auch selber in der Hand, dass ihr nicht Morgen in einem totalitären Staat aufwacht. Fangt an zu diskutieren, wie wir mit dieser Situation umgehen sollten – und äußert eure Meinung auch öffentlich und gegen den Mainstream!
2. Wir sollten vielleicht auch mal die Schnauze halten. Oder, um es politisch korrekter auszudrücken: Wenn sich die Angst eines Menschen in Form einer nicht ganz geschickten Äußerung, etwa eines kleinen Posts auf Linked-In, ausdrückt, vielleicht mal den „Angst-Virus“ nicht durch eigene Kommentare verstärken und weitertragen. Und damit meine ich in erster Linie mich selber….
Die Empörung des Autors, die sich in der Kritik an der Opportunität vieler Journalisten angesichts der mit der Corona-Pandemie verbunden Einschränkungen Bahn bricht, hat das Maß nicht verloren. Sie ist vielmehr sehr zurückhaltend, angesichts der Tatsache, dass wir alle erwarten dürfen, dass Journalismus die Freiheit des Einzelnen ebenso verteidigen muss, wie die des demokratischen Gemeinwesens. Freiheit und Demokratie leben von der inhaltlichen Auseinandersetzung und sachlicher Kritik an abweichenden Meinungen und nicht von vorauseilendem Gehorsam vor den Regierenden. freier Journalismus wird nicht von Regierenden verliehen, sondern in kritischer Auseinandersetzung mit Ihnen bewahrt. Leider scheinen wir uns daran zu gewöhnen, dass sich Journalismus kompromittiert und nachbetet statt eigenständig zu denken.
In diesen Tagen des unfreiwilligen Home Office findet man wieder Zeit, bei den Schriftstellern aus der Jugend nachzulesen. Ich habe nach Jahrzehnten wieder Albert Camus gelesen und bin auch auf einen Essay zum Ungarn-Aufstand gestoßen, der mir angesichts der jüngsten Entwicklung dort sehr aktuell erscheint. Eine mitreißende Abrechnung mit den eintönigen Riten der totalitären Religion, in deren Richtung sich Orban bewegt, und das mitten in Europa, dessen Werte in Sonntagsreden gern beschworen werden. Schlimm genug, dass sich EU und bundesdeutsche Institutionen gelassen zuschauen, wie in Ungarn nun seit Jahren Pluralismus, Liberalität und Vielfalt Stück für Stück abgeschafft werden. Wir nehmen Schaden an der eigenen Glaubwürdigkeit und befeuern den Virus der inneren Zersetzung unserer Wertevorstellungen. Leider könnte man ähnliches sagen in Bezug auf die Türkei und Polen und andere europäische Staaten.. Man muss sich ja nicht am weit entfernten Venezuela abarbeiten, obwohl linker Totalitarismus nicht besser ist als rechter. Aber wenn sich Außenpolitik immer noch an Talleyrands Maxime orientiert, dass ein Fehler schlimmer ist als ein Verbrechen, darf sie schweigen und der Journalismus darf sich anderen Nebenkriegsschauplätzen zuwenden!