Sicherheitslage – das habe auch ich nicht kommen sehen

Angesichts des Terror-Angriffs der Hamas auf Israel nehme ich meine Betrachtungen der Sicherheitslage wieder auf (zuletzt hier, drei Tage vor dem Angriff auf die UKR). So schlimm die Lage ist, so nüchtern sollte man sie analysieren. Auch wenn mir das sehr schwer fällt (s. nur hier nach dem Angriff auf die UKR), gehe ich (zunächst) wenig auf die tatsächliche Lage vor Ort ein (die ist unübersichtlich) und gar nicht auf die menschlichen Tragödien ein – das geschieht an anderen Orten. Mein Blick geht eher auf die strategische Lage.

Am 7. Oktober 2023 (also einen Tag nach dem 50. Jahrestag des Beginns des  Jom-Kippur-Krieges (dazu hier) griffen Terroristen der Hamas nach Überwindung der Grenzsicherungsanlagen von Gaza aus verschiedene zivile (!) Ziele in Israel an, u.a. Kibbuze (hier) und ein Musikfestival in der Wüste (hier), nahmen aber auch ein militärisches Hauptquartier ein (s. dazu unten). Die Zahl der Toten alleine durch diesen Angriff ist noch nicht abschließend geklärt, erste Zahlen gingen von 900 Opfern des Angriffs selber aus, davon alleine 260 beim vorgenannten Musikfestival. Die IDF geben die Zahl der getöteten Hamas-Kämpfer mit 1.500 an (s. die bereits umfassende Darstellung bei Wikipedia, hier).

Der Angriff der Hamas auf Israel hat den Konflikt auf eine andere Ebene gehoben. Seit 9/11 dürfte es keiner Terrororganisation gelungen sein, einen Angriff in dieser Größenordnung, mit diesen Mitteln, mit dieser Koordination und dieser Wirkung vorzutragen. Das alleine sollte die Nachrichtendienste aller westlichen Länder aufhorchen lassen.

Denn zum einen stellt sich die Frage, wie ein Angriff dieses Umfangs unentdeckt bleiben konnte. In mehr oder minder populistischen Artikeln wird über das Versagen der israelischen Nachrichtendienste diskutiert (s. nur hier oder hier – ganz gut aber hier). Durch die erfolgreiche Einnahme eines Divisions-Hauptquartiers mit daraus resultierender wahrscheinlicher Abschöpfung sicherheitsrelevanter Daten durch die Hamas besteht nun das Risiko weiterer Kompromittierung der operativen Sicherheit der IDF und ggf. anderer Kräfte.

In einer meiner letzten Posts zur „Sicherheitslage“ vor Ausbruch des UKR-Krieges berichtete ich über gemeinsame Manöver von RUS, CHN und IRAN (hier). Eine weitere Frage für mich ist deswegen, inwieweit diese Länder diesen Angriff der Hamas mehr als nur ideell unterstützt haben könnten. Denn zweifellos haben alle drei Staaten ein Interesse daran, die USA zu schwächen (was diese und andere Staaten gerade auch durch den Versuch belegen, den US-Dollar als Welt-Leit und -Reservewährung abzulösen, hier). So dürfte der RUS Einfluss auf die serbischen Truppenmassierungen an der Grenze zum Kosovo (hier) wohl genau so wenig on der Hand zu weisen sein, wie der RUS Einfluss auf die jüngsten Staatsstreiche in Afrika (hier).

Die Antworten auf diese Fragen werden auch die Richtung weisen, ob die Einschätzung hochrangiger englischer (hier) und amerikanischer (hier) Offiziere zutrifft, dass wir in zwei bis fünf Jahren von Angriffen dieser Staaten ausgehen müssen. Denn dann dürften etliche Zeitpläne der Bundeswehr zur Aufstellung von einsatzbereiten Verbänden bereits Makulatur sein.

Vor dem Hintergrund der hier aufgeworfenen Fragen wird man die Reaktion Deutschlands auf diesen Akt des Terrorismus und die daraus abzuleitenden Konsequenzen bewerten müssen. Bilder eines Fischbrötchen-Essenden Bundeskanzlers (hier) während zeitgleich Evakierungsaktionen anderer Länder in Israel anlaufen (hier, so wurden deutsche Schüler spontan von einer isländischen Fluggesellschaft gerettet (hier)) oder eines Videos des deutschen EU-Gesandten bei den Palästinensern, der im Juli 2023 einen Gleitschirmflug an der Grenze zwischen Gaza-Streifen und Israel absolvierte, um „auf die Besetzung des Gaza-Streifens durch Israel hinzuweisen – bevor Hamas-Terroristen genau diesen Weg wählten, um auf israelisches Territorium vorzudringen (hier) dürften nicht nur in Israel für Kopfschütteln sorgen. Neben diesen PR-Faux Pas dürfte das Kaltstartpotential der Bundesregierung nicht nur im Hinblick auf die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Israel, nun sagen wir, Optimierungspotential bieten. Angesichts von neu angeschafften Funkgeräten, die nicht in die Bw-Kfz eingebaut werden können (hier) oder einer kompletten deutschen Brigade, die mit „Kind und Kegel“ nach Litauen verlegt werden soll – wobei sich der Andrang der Bewerber aus der Truppe aber in Grenzen hält (hier).

Fazit: Zwar habe ich schon mit einer „Ausweitung der Kampfzone“ gerechnet, aber dieser Angriff kam für mich doch unvorbereitet. Im Besten Fall handelt es sich bei dem Hamas-Terrorangriff um ein nur in einem kleinen Zirkel geplantes Unternehmen, das unbeeinflusst von anderen Mächten ablief – dafür könnte sprechen, dass bislang keine Warnsignale vor dem Anschlag bekannt wurden. Selbst dann könnte der wohl bevorstehende großflächige Angriff der IDF auf den Gaza-Streifen gleichwohl diverse muslimische Länder zum Beistand mit der Hamas verleiten. Hat die Hamas aber durch den IRAN Unterstützung erfahren, so wäre das ein Anhaltspunkt dafür, dass dieser Angriff letztlich nur ein Mosaik-Stein in einem Plan zu weit größeren Angriffen auf westlich geprägte Staaten war. Und dann wären die Befürchtungen der Militärs, dass die Zeitfenster bis zu größeren Angriffen kleiner sind, als bisher angenommen, durchaus begründet.

Hinweis: Ich selber schaue mir keine Videos von den Morden der Hamas an – so etwas habe ich im Rahmen meiner FoW-Berichterstattung zum Krieg in der UKR oft genug getan (s. zuletzt hier). Und es hat mich geprägt – leider nicht positiv. Deswegen empfehle ich jedem und jeder, der sich mit dieser Thematik auseinandersetzt, sich diesen Artikel („How to Maintain Mental Hygiene as an Open Source Researcher„) durch zu lesen, bevor er oder sie sich dem jetzt durch die Social-Media-Kanäle laufenden Bildersturm aussetzt.

2 Gedanken zu „Sicherheitslage – das habe auch ich nicht kommen sehen“

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