Guten Morgen,
Aus aktuellem Anlass – sprich der gerade veröffentlichten Entscheidung des BVerfG zum Rundfunkbeitrag – unterbreche ich mein Programme und sende heute mal ein ÖRR-Special (s. ansonsten z.B. hier):
Rundfunkbeitrag: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2021/07/rs20210720_1bvr275620.html
Die eigentliche Begründung des BVerfG findet sich ab Rz. 75 und liest sich in sich durchaus schlüssig. Die Frage ist halt, ob die vom BVerfG als Grundlage gesetzten Parameter („Dementsprechend steht den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein grundrechtlicher Finanzierungsanspruch zu.“, Rz. 75) alle so zutreffend sind. Sprich, man könnte auch den Eindruck gewinnen, dass sich das BVerfG hier in den von ihm selber in den vorigen Entscheidungen gesetzten Grundlagen verheddert. Denn dem ÖRR Grundrechte einzuräumen, die eigentlich nur für individuelle Menschen gelten, ist vielleicht doch ein zu hoher Schutzzaun für den ÖRR.
Als Berliner mit diversen Kostensteigerungen bei Flughäfen sollte man ja eigentlich nicht mit Fingern auf andere zeigen – aber der WDR setzt dann doch durchaus Maßstäbe, was Geld heraushauen angeht.
Berichterstattung: https://www.rnd.de/medien/hochwasser-wdr-raeumt-fehler-bei-unwetter-berichterstattung-ein-2NZS7M2DKMCXVMIOGEJA6TET6M.html
Die Berichterstattung des WDR und des SWR während der Unwetter in NRW und RLP scheint auch kein Ruhmesblatt gewesen zu sein.
Fazit: So, jetzt werden wir alle ein paar Cent mehr für den ÖRR zahlen. Wird uns im Zweifel angesichts der galoppierenden Inflation eh nicht so richtig bewusst werden. Aber das BVerfG hat gnadenlos aufgedeckt, wie automatisiert der Prozess der Gebührenerhöhung abläuft und in Zukunft ablaufen wird (s. dazu auch die Ausführungen bei Wikipedia dazu hier und hier). Die Länderparlamente dürfen die von der KEF „vorgeschlagene“ Erhöhung nämlich nur noch abnicken. Eine eigenständige Entscheidungsmacht steht Ihnen nur in ihrer Gesamtheit zu, einzelne Bundesländer können nicht ablehnen.
Sehr interessant ist dabei, dass die KEF selber Jahr für Jahr darauf hinweist, „dass Sport mit Abstand der größte Kostenblock ist (z. B. im ersten Fernsehprogramm 27,7 % der Erstsende-Selbstkosten“. Wie das mit der vom BVerfG für den ÖRR dekretierten Aufgabe, „als Gegengewicht zu den privaten Rundfunkanbietern ein Leistungsangebot hervorzubringen, das einer anderen Entscheidungsrationalität als der der ökonomischen Anreize folgt und damit eigene Möglichkeiten der Programmgestaltung eröffnet. Er hat so zu inhaltlicher Vielfalt beizutragen, wie sie allein über den freien Markt nicht gewährleistet werden kann“ (Rz. 78), einhergehen soll, ist aber wahrscheinlich nur mir ein Rätsel. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die neue Programmdirektorin der ARD, Frau Strobl (übrigens die Tochter des Bundestagspräsidenten Schäuble und Ehefrau des CDU-Chefs von Baden-Württemberg, Herrn Strobl, s. bei mir schon hier), erst mal den politisch wichtigen „Weltspiegel“ auf einen Sendeplatz versetzt hat, bei dem kein Mensch, der am nächsten Morgen seine und die Brötchen der ARD verdienen muss, noch wach sein kann (hier), während die Privaten gerade die Nachrichtensprecher der Öffentlich-Rechtlichen quasi im Dutzend abzuwerben, um seriöser zu werden (s. nur hier). Freuen wir uns also auf einen weiteren Kessel buntes….
Spruch des Tages: „Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden.“ – BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2021 – 1 BvR 2756/20
Keep calm and carry on!
-tz
Grüezi Herr Beissenhirtz
Es freut mich, dass Sie Ihre Ferien geniessen konnten, womit ich auch zeige, dass ich zu Ihren regelmässigen Lesern gehöre.
Zum Thema, und unabhängig, ob diese 18,63 Euro jetzt angemessen sind oder nicht. Auch nicht, ob das einige nicht mehr zahlen können oder nicht wollen.
Vertragsrecht
Würde ein Student Sie fragen, was die Justiz eigentlich beim Vertragsrecht urteilen darf, was würden Sie antworten?
Ich mutmasse jetzt. Sie würden vermutlich aufzählen, dass die Justiz einen Vertrag für ungültig erklären darf (unlauter, verfallen, gegen Treu und Glauben verstossen, aus formalen Gründen ungültig, etc.). Oder dass er sich als Bestandteil eines Verbrechens zeigt, also strafrechtlicher Beweis ist. Oder ein Vertrag nur zustande kommen kann, wenn alle Vertragsparteien damit einverstanden sind (!, Willenserklärung nötig), etc.
Die Möglichkeiten des Vertragsrechts sind fast grenzenlos.
Würde der Student Sie aber weiterfragen, ob die Justiz berechtigt sei den Inhalt des Vertrags zu verändern, würden Sie vermutlich mit einem klaren Nein antworten.
Ausser z.B. bei einer Schlichtungsverhandlung und alle Parteien damit einverstanden sind – was dann aber schon wieder Bestandteil der Vertragsparteien selbst ist.
Sonst ist es der Justiz untersagt den Inhalt eines Vertrags zu verändern. Sie hat gar nicht das Recht dazu, weil sie nicht Vertragspartei ist und sein darf. Dies bei der Justiz.
Dieses Gericht hat es jetzt aber getan. Es hat den Inhalt des Vertrags direkt verändert, es hat den Beitrag angehoben. Sogar höhere Steuern verfügt und Inflation erzeugt.
Fazit: Die Justiz darf es grundsätzlich nicht, ein Gericht darf es – oder macht es einfach.
Was glauben Sie, welchen Umkehrschluss würde der Student aus dieser Sachlage ziehen?
Es gibt mehrere, nur einige davon:
– Justiz ist nicht Gericht und umgekehrt
– Gericht ist Politik, weil es sich hier nicht um Rechtsprechung, sondern um Gesetzgebung handelt
– Wähler und Gewählte lassen sich nicht von gewählten Politikern, sondern von Richtern regieren
– Dass keine Gewaltenteilung besteht (weder horizontal, noch vertikal)
– Richter stehen über dem Gesetz
– Es ist kein Urteil, sondern eine höchstinstanzliche Entscheidung (also Politik)
– Damit keine Rechtssicherheit besteht – weil ein Richterspruch das Gegenteil davon ist
Noch viel interessanter würde es, wenn man es auf EU-Recht anwenden würde. EU-Recht ist ja nur und ausschliesslich Vertragsrecht.
Welches Fazit ziehen Sie, angesichts der Tatsache, dass es Verfassungsgerichte gar nicht braucht, wenn eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative bestehen würde und damit alle Parlamentarier, wie auch alle Wissenschaften gleichberechtigt wären?
Gruss aus der Schweiz
Beat Leutwyler
Hallo Herr Leutwyler,
Danke für die guten Wünsche und Ihre Anmerkungen.
Das Ihrem Kommentar vorangestellte Zitat sagt eigentlich schon alles – zwar neigen die Parlamente in D bereits jetzt zur Selbstverzwergung, aber das hier diskutierte Urteil des BVerfG weist den Parlamenten bei Gebührenerhöhungen zugunsten des ÖRR jetzt nach mehrheitlicher Meinung nur noch eine „Notarfunktion“ zu. Sprich, die Länderparlamente dürfen absegnen. Das mag mit der Angst vor staatlicher Einflussnahme auf die Programmatik begründet sein, aber ist shcon sehr weitgehend.
Auch haben Sie durchaus Recht mit dem Mehr an Rechten der Schweizer Bevölkerung, auch in Bezug auf die Aufweichung der Gewaltenteilung gebe ich Ihnen im GRundsatz Recht. Allerdings wird es nie eine „perfekte“ Gewaltenteilung geben, deswegen braucht es schon auch Verfassungsgerichte. Wenn die allerdings in Verdacht geraten, die Gewaltenteilung selber nicht so genau zu nehmen, wird es problematisch.
Wir werden die weitere Entwicklung ja erleben.
Viele Grüße,
-tz