So, weniger als 72 Stunden nach Schließung der Wahllokale hebt sich der Pulverdampf des Wahlkampfs. Nach 2017 (hier) und 2021 (hier) wage ich nachfolgend meine dritte Wahlanalyse.
Die Wahlen
Die Wahlbeteiligung war mit über 82% so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr – Politikverdrossenheit sieht anders aus. Im Gegensatz zu vorherigen Wahlen haben sich die Prognoseinstitute diesmal nicht blamiert (hier, s. aber hier), obwohl es natürlich Abweichungen zum tatsächlichen amtlichen Endergebnis (hier) gab. Die Union ist zwar mit über 28% Wahlgewinner – hat aber die erwartete 30%-Marke nicht gerissen (genau so wenig, wie die AfD). Alle Parteien der Ampel haben verloren, noch am wenigsten die Grünen, am heftigsten die FDP, die aus dem Bundestag ausscheidet- Aber auch die SPD hat ihr schlechtes Ergebnis seit über einhundert Jahren eingefahren.
Meine Trefferquote bei den Jahresprophezeiungen dürfte angesichts des Wahlausgangs jedenfalls schon nicht mehr sehr hoch ausfallen (hier), hatte ich doch auf einen Wiedereinzug der FDP in den Bundestag gewettet (wie ich jetzt erst erfahren habe, der Kontra-Indikator M. Fratzscher ebenfalls, hier). Die Silberlocken der Linken dürften zwar einen gehörigen Anteil am unerwarteten Erfolg der Partei haben, aber der Erfolg dürfte auch andere Gründe haben (s. unten). Das BSW ist schon fast tragisch mit wenigen 1.000 Stimmen an der 5%-Hürde gescheitert, mit 4,97%.
Ein Aufreger ist, dass auf Grund des von der Ampel verabschiedeten neuen Wahlrechts 23 Kandidaten, die ihren jeweiligen Wahlkreis direkt gewonnen haben, nicht in den Bundestag einziehen (hier). Nicht nur, dass dies zumeist Kandidaten der Union betrifft, zum Vergleich – die Linke hatte vor der Abspaltung des BSW nach der Wahl 2021 auf Grund der Direktwahl von drei Kandidaten eine Stärke von 39. Ein besonders krasser Fall ist der von Volker Ulrich, der zwar mit über 31% seinen Wahlkreis unter anderem gegen Claudia Roth gewann, aber gleichwohl auf Grund des relativ schlechten Zweitstimmen-Ergebnisses der CSU nicht in den Bundestag einzieht – während Frau Roth über die Liste einzieht (hier).
Wie schon die vorherige Bundestagswahl, so wurde auch diese von einigen Unregelmäßigkeiten überschattet. So geriet die Wahl der Auslandsdeutschen zum Debakel – wenn noch nicht mal der deutsche Botschafter in London seine Wahlunterlagen passend vor der Wahl erhalten hat, dann ist das schon ein Zeichen (hier). Schon keine größere Aufregung wert ist es, dass in drei Berliner Bezirken nachgezählt werden muss (hier). Das BSW, das mit knapp 13.400 Stimmen am Einzug in den Bundestag gescheitert ist, erwägt eine Wahlanfechtung (hier).
Das Wahlergebnis
Die verschiedenen Aspekte des Wahlergebnisses sind aber auch eine nähere Analyse wert. Denn selten dürfte eine Regierung so heftig abgewatscht worden sein, wie die Ampel (hier, demnach -37%), und die größte Oppositionspartei daraus so wenig Honig gesaugt haben. Knapp unter 50% der Deutschen haben eine „rechte“ Politik gewählt (wenn man die AfD und die CDU so zusammenfasst), knapp 42% eine linke Politik (Wenn man die SPD, die Grünen, die Linke und die BSW zusammenzählt), weniger als 5% haben eine liberale Politik gewählt (oder, das, was als solche verkauft wurde) und unter 5% haben sich auf andere Themen konzentriert und Kleinparteien gewählt.
Die Erstwähler haben sich gegenüber der letzten Bundestagswahl (als vornehmlich FDP oder Grün gewählte wurde, hier) tatsächlich radikalisiert (hier) und mehrheitlich extrem links oder extrem rechts gewählt, die Parteien der Mitte sind abgeschlagen. Aber auch (junge) Muslime scheinen der Linken den Vorzug vor anderen Parteien gegeben zu haben (hier). Der Erfolg der Linken scheint zum Teil aber auch auf die Jugend ansprechende Social Media Posts zurückzuführen sein (vertiefend hier). Die Union hat ihren Sieg eben den alten weißen Männern zu verdanken (hier). Sollte die Analyse des Spiegels zutreffen wonach „Junge Männer Angst vor Migration, junge Frauen vor Rechtspopulismus [haben]“ (hier), dann könnte sich ein sich selbst verstärkender Kreislauf entstehen: Männer wählen zur (vermeintlichen) Abwehr von Migration immer rechter, Frauen aus Angst vor einem Rechtsruck immer linker – und linke Politik nimmt das als Bestätigung ihres migrationsfreundlichen Kurses – und fördert eine höhere Migration.
Schaut man auf die Erststimmen-Ergebnisse nach Wahlkreisen (hier), sieht man ein entlang der alten Demarkationslinie gespaltenes Land – in der alten Republik dominiert die Union, in den neuen Ländern die AfD.
Auch die Analyse der Wählerwanderung ist interessant – so hat die von der FDP zur Union der FDP offensichtlich das politische Genick gebrochen, es sind aber auch über eine 1,7 Mio. Wähler von der SPD zur CDU abgewandert. Die CDU wiederum hat über eine Million Wähler an die AfD verloren (hier). So gesehen sollte die FDP sich fragen, ob ein linker Kurs der Partei wirklich gut tut, die SPD müsste wieder in die Mitte rücken, die CDU weiter nach rechts – erst wenn das passiert, dürfte die AfD wieder Einfluss verlieren.
Die FDP verfehlt nach 2013 zum zweiten Mal den Wiedereinzug in den Bundestag und verliert fulminant. Die Frage ist, wer nach dem Abgang von Herrn Lindner (hier) jetzt das Zeug hat, die FDP wieder aufzubauen – oder eine andere liberale Partei zu gründen. Frau Teuteberg und Frau Katja Adler (derzeit werfen Frau Strack-Zimmermann und Herr Kubicki ihren Hut in den Ring)? Das Zeug dazu hätten die beiden und eine liberale Partei ist in Deutschland wichtiger denn je.
Wie geht es weiter?
Die wichtigere Frage ist aber natürlich die nach der möglichen Regierung. Die CDU hatte sich selber im Wahlkampf schon eine Koalition mit der AfD und den Grünen abgeschnitten – bleibt also rechnerisch nur eine Neuauflage der „GroKo“, oder?
Schaut man auf die Themenstellungen, die die Deutschen direkt vor der Wahl beschäftigten, so lagen Wirtschaft & Migration mit deutlichem Abstand vorne (ARD, 09.01.2025, hier; ZDF, 20.02.2025, hier und Statista, 20.01.2025, hier). Die Relevanz beider Themen dürfte im Laufe des Jahres 2025 noch deutlich zunehmen, nicht umsonst spricht Creditreform in seiner Jahresprognose aus dem Januar vom „Schicksalsjahr 2025: Wirtschaftswende oder Absturz?“ (hier) und die DIHK geht schon jetzt von einem Rezessionsjahr 2025 aus (hier).
Die Frage ist, ob es einer GroKo gelingen kann, diese Themen für große Teile der Bevölkerung zufriedenstellend anzugehen. Die SPD ziert sich, während die Union die einen straffen Zeitplan vorsieht (hier). Direkt nach der Wahl kassierte Herr Merz – wohl schon mit Blick auf die SPD – seine Forderungen nach „Grenzschließungen“ (hier) und ist „offen“ für eine Änderung der Schuldenbremse noch mit der alten Mehrheit des Bundestages (hier). Da auch eine GroKo keine eigene Mehrheit für eine Lockerung der Schuldenbremse hätte, müsste sie erforderliche Mittel gerade für den Aufbau der Verteidigung entweder durch sparen und priorisieren erwirtschaften oder sich die Zustimmung zur Lockerung von anderen Parteien zu einem teuren Preis abkaufen.
Verteidigung und äußere Sicherheit sind zwar in aller Munde, aber die Richtung von Union und SPD ist nicht einheitlich. Nur die Grünen und die CDU stehen für eine uneingeschränkte Unterstützung der UKR. Die Linke und die AfD fahren sogar einen eher pro-russischen Kurs. Sollte Herr Trump den von ihm angestrebten „Frieden“ tatsächlich durchbringen, besteht die Gefahr, dass man sich die deutsche Politik – wie 2014 – wieder den innenpolitischen Themen zuwendet und eine wirkliche Stärkung der Bundeswehr erneut nicht erfolgt.
Der Erfolg der kommenden Regierung – auch bei Wirtschaftsthemen – wird auch von der Sicherstellung einer stabilen und preiswerten Energieversorgung innerhalb kurzer Zeit abhängen. Derzeit gibt es aber scheinbar schon Problem, den Rückbau von Kernkraftwerken zu stoppen (hier).
Wenn sich die Linke, die AfD und die Grünen nicht in irgendeiner Weise zusammentun, wird es keinen Untersuchungsausschuss zu Corona geben – nachdem das BVerfG erst jüngst die juristische Aufarbeitung verweigert hat (hier), droht damit auch, eine politische Aufarbeitung zu scheitern. Das dürfte langfristig für eine politische Befriedung in Deutschland eine schwere Hypothek sein.
Hält die GroKo unter diesen gegebenen Umständen bis 2029? Nach nur noch zwei Landtagswahlen in diesem Jahr (HH, 2.3.25, NRW, Herbst), steht in 2026 ein richtiger Wahlkrimi an – mit Wahlen u.a. in Sachsen-Anhalt, Meck-Pom, BAY und BaWü (hier). Wenn die zukünftige Bundesregierung bis dahin nicht im Sinne der Wähler liefert, werden die Ränder bei diesen Wahlen weiter gestärkt werden – wenn sie nicht gar an die Macht kommen. Dann dürfte das Durchregieren bis zum Ende der Legislaturperiode schwer werden.