Guten Morgen,
Ich will mich jetzt nicht meiner prophetischen Fähigkeiten rühmen, obwohl ich seit April immer wieder auf der Sicherheitslage Deutschlands rumreite (hier, hier und hier). Denn auch ich hatte zwar die zukünftige politische Stabilität Afghanistans nach dem Abzug westlicher Truppen in Frage gestellt, mein Fokus war (und ist) aber eher auf Taiwan und das Südchinesische Meer gerichtet. Aber ich habe auch keinen nachrichtendienstlichen Apparat, der mich regelmäßig über die weltpolitischen Entwicklungen informiert (und eben auch warnt, hier). Von daher dürften in Deutschland die Bilder einer Flammkuchen-backenden AKK oder einer ihre Pferde besuchenden vdL im Kopf bleiben, wenn man an den Fall von Kabul denkt (hier) oder einer Bundeskanzlerin, die in den ersten dramatischen Momenten der Evakuierung Deutscher aus Afghanistan sich am Rande eines Kinobesuches lachend einem Interview stellte (hier). Vom deutschen Außenminister will ich hier gar nicht erst reden (s. aber hier). Aus aktuellem Anlass also heute mal eine erste Analyse zum Debakel:
https://www.zerohedge.com/geopolitical/can-they-learn-us-wargames-consistently-predicted-defeat
https://www.n-tv.de/politik/Bericht-USA-haben-Afghanistan-falsch-eingeschaetzt-article22749106.html
Nur, wenn man glaubt, dass Zitronenfalter Zitronen falten, dann glaubt man, dass die Bundesregierung vom schnellen Zusammenbruch in AFG so überrascht werden konnte: Wenn die deutsche Botschaft tatsächlich „seit Wochen“ vor dem jetzt eingetretenen Szenario gewarnt haben will (erneut hier) und die US-Geheimdienste zumindest seit Juli auf die sich zuspitzende Lage hingewiesen haben, dann erscheint es unwahrscheinlich, dass niemand bei den deutschen Diensten nicht zumindest in so einem Szenario gedacht hat. Eher dürfte man die dann entwickelten Szenarien wohl auf irgendeiner Führungsebene (entweder bei den Diensten oder in der Politik) nicht ernst genommen haben, bzw. schon vorher – wie bei der berüchtigten Übung „Millennium Challenge 2002“, die in den Artikeln von Zerohedge und War on the rocks diskutiert wird – dem Dunning-Kruger-Effekt erlegen sein. Dafür spricht das post-mortem des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau Afghanistans. Man wollte es möglicherweise (in Wahlkampfzeiten) schlicht nicht wahrhaben, was jetzt zur bitteren Wahrheit wurde.
Nicht nur westliche Waffen-Systeme (!, hier) fallen an die Taliban, sondern auch Wirtschaftsgüter in nicht unerheblichem Ausmaß.
Ah, deswegen ist China so freundlich zu den Taliban (hier, und weil sie wahrscheinlich keinen Bock auf die Vereinigung von Taliban und Uiguren auf chinesischem Staatsgebiet haben (hier))
Fazit: Der direkte wirtschaftliche Fallout des Zusammenbruchs des bisherigen Regimes in Afghanistan dürfte überschaubar sein – die weiteren, indirekten Folgen sind es nicht: Schon in einem meiner letzten Sicherheitsbriefings hatte ich vor der Blockade von Lieferketten durch Terroristen gewarnt. Afghanistan dürfte nun ein weiteres Land in einer langen Kette von Staaten (Syrien, Irak, Iran) sein, die von Islamisten regiert werden. Damit dürfte der Nahe und Ferne Osten noch weniger zur Ruhe kommen. Und auch neue Terroranschlags-Serien im Westen (sozusagen als „Siegesfeier“) dürften nicht ausgeschlossen sein (hier).
Und es ist ja nicht so, dass die restliche Welt nach dem Sieg der Taliban still steht. Die weiteren Krisenherde köcheln – wie der illegale Grenzübertritt belarussischer Soldaten nach Litauen (ein Nato-Partner!; hier) oder das aktuelle Manöver Chinas vor der Küste Taiwans zeigt (hier).
Vor diesem Hintergrund der aktuellen Erfahrungen aus Afghanistan kann man getrost konstatieren, dass die sicherheitspolitische Lage in der deutschen Politik zumindest bislang nicht so gedacht wurde, als dass auf Grundlage eines realistischen Lagebildes mit realistischen Erwartung und unter Einsatz der erforderlichen Mittel agiert wurde. Hoffen wir mal, dass die jetzt von AKK angekündigte Überprüfung der sonstigen Auslandseinsätze der Bundeswehr (hier) unter diesen Prämissen erfolgt.
Spruch des Tages: „Wenn du dich und den Feind kennst, brauchst du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten. Wenn du dich selbst kennst, doch nicht den Feind, wirst du für jeden Sieg, den du erringst, eine Niederlage erleiden.“ – Sun Tzu
Keep calm and carry on!
-tz