Morning Briefing – 13. April 2021 – Rechtsstaat – hoffentlich nicht das nächste „Ruckeln“…

Guten Morgen,

In Anbetracht der neuen „Rechts-Rakete“, die die Bundesregierung heute in Form des „Bundes-Lockdowns“ zündet (hier), heute schon wieder ein „Rechtsstaats-Special“ (s. zuletzt hier).

Wallrabenstein: https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-2-bvr-2006-15-befangenheit-wallrabenstein-ezb-anleihenkauf-urteil/

Das BVerfG sieht die (eigene) Richterin Wallrabenstein als befangen an – und schließt sie von einem die EZB betreffenden Verfahren aus, nachdem sie in der FAS Urteil des BVerfG zu Anleihekäufen der EZB relativiert hatte.

Harbarth: https://www.welt.de/politik/deutschland/article226086933/Corona-Massnahmen-Verfassungsrichter-nennt-Diktatur-Vorwuerfe-absurd-und-boesartig.html

https://presse-augsburg.de/verfassungsgerichtspraesident-offen-fuer-verlaengerung-der-wahlperiode/710539/

Was müsste dann mit Herrn Harbarth (übrigens noch 2015 einer der Großverdiener im deutschen Bundestag, hier) nach seinen medialen Aussagen zu Corona-Maßnahmen und zur Wahlperiode passieren?

Di Fabio: https://www.deutschlandfunk.de/corona-beschraenkungen-ex-verfassungsrichter-di-fabio-gegen.2932.de.html?drn:news_id=1246132

Papier: https://www.morgenpost.de/politik/inland/article228932565/Ex-Verfassungsgerichtspraesident-Lockerungen-problematisch.html

https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/papier-kritisiert-neues-corona-gesetz-als-persilschein-fuer-regierung

Gnisa: https://www.zeit.de/news/2021-04/11/corona-plaene-des-bundes-ex-richterbund-chef-fassungslos

Zumal sich andere (ehemalige) Verfassungsrichter wesentlich kritischer zur Rechtmäßigkeit der Maßnahmen äußern.

Amtsgericht Weimar: https://www.kanzlei-hersbruck.de/app/download/14544026523/Amtsgericht_Weimar_9_F_148_21_EAO_Beschluss+2021_04_08.pdf?t=1618073932

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ag-weimar-9f14821-corona-familienrichter-schule-masken-ministerium/

Man muss den Beschluss des AG Weimar nicht teilen, aber die vom AG zur Feststellung des Sachverhaltes u.a. an die Landesregierung Thüringen gerichteten Fragen (s. ab S. 16) sind allesamt Fragen, die die Regierungen bei Erlass derartig tief in Grundrechte eingreifender  Maßnahmen aus dem Stehgreif beantworten können müssten. Die Landesregierung Thüringen hat nicht Stellung genommen.

Impf-Gerechtigkeit: https://www.welt.de/wirtschaft/article228416025/Versagen-in-der-Krise-Deutschland-muss-weg-vom-Perfektionismus.html?cid=socialmedia.twitter.shared.web

„Das mögen viele als ungerecht und als Missachtung individueller Rechtsansprüche bewerten. Trotzdem kann eine „ungerechte“ Abfolge zu schnelleren Impferfolgen, weniger Infektionen und Todesfällen und in Summe einem rascheren Ende der Pandemie führen. Wäre das alles zusammen nicht „Gerechtigkeit“ und Rechtfertigung genug, von perfekten Lösungen Abstand zu nehmen? Müsste nicht die Theorie des Zweitbesten oder das 20/80-Prinzip zur neuen Impfstrategie werden?“

Fazit: Auch ich rege mich ja gerne auf, wenn ehemals hohe Beamte / Generäle nach Ende der Karriere „plötzlich“ den Mund aufmachen und sich kritisch über die Organisation äußern, der sie – teils jahrelang – vorgestanden haben. Aber eins hat mich dieser Post gelehrt: Verfassungsrichter „dürfen“ nur und ausschließlich durch ihre Urteile sprechen. Aussagen dieses Personenkreises außerhalb von Urteilen – das zeigt gerade die Stellungnahme von Richter Harbarth zur Verlängerung der Wahlperiode – greifen in die Exekutive ein. Und das steht der Legislative schlicht nicht zu. Man könnte und sollte vielleicht endlich dazu kommen – wie in anderen Ländern auch – etwaig strittige Normen auch dem BVerfG vorab vorlegen zu können, aber mangels eines solchen Verfahrens haben im Amt befindliche Richter größtmögliche Zurückhaltung in der Öffentlichkeit zu wahren – das sieht übrigens auch das Mäßigungsgebot des § 39 DRiG vor (s. dazu auch hier). Und die Legislative und Exekutive täten gut daran, die Richter dann auch zu schützen.

Dass aber die Verfahrensseite des BVerfG über ein Jahr nach Beginn der Pandemie noch nicht von Corona-Fällen „überschwemmt“ ist (s. hier), und zumeist immer noch Untergerichte, wie eben das AG Weimar, sich mit den GRUNDRECHTSRELEVANTEN (=Zuständigkeit des BVerfG) Akten der Exekutive auseinandersetzen müssen (Ausnahme z.B. OVG Hannover hier), gibt mir doch sehr zu denken. Denn ich bin mir sicher, dass das BVerfG sich schon an Hand eines an es „durchdringenden“ Falles umfangreich (im Wege eines sog. obiter dicter) zu den einzuhaltenden Bedingungen der Corona-Maßnahmen äußern könnte, wenn es denn wollte (s. z.B. hier).  Und damit schließt sich der Kreis mit einer Frage: Warum „tobt“ sich Herr Harbarth nicht im Rahmen eines Beschlusses oder Urteils des BVerfG aus, anstatt in der Presse?

Und gleichzeitig – und das macht der sehr gute Kommentar aus der Welt zu einer vorgeblich zu erreichenden Impf-Gerechtigkeit klar – wird man bei aller Kritik auch materiell Unschärfen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Kauf nehmen müssen, will man nicht erstarren. Um die Verantwortung zur Grenzziehung zwischen rechtsstaatlich noch vertretbaren „unscharfen“ Maßnahmen und (Grund-)Rechtsverletzungen der Legislative und Exekutive beneide ich die Richter nun so gar nicht.

Spruch des Tages: „Wenn ich in Deutschland einen Staatsstreich machen wollte, dann würde ich eine Corona-Pandemie erfinden.“ (Udo Di Fabio, Staatsrechtler und ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, Interview Juli 2020, hier).

Keep calm and carry on!

-tz 

2 Gedanken zu „Morning Briefing – 13. April 2021 – Rechtsstaat – hoffentlich nicht das nächste „Ruckeln“…“

  1. Grüezi Herr Beissenhirtz

    Immer wieder interessant, aber warum ärgern Sie sich beim Gerichtswesen Deutschlands über die Symptome und nicht über die Ursache?

    Die Ursache, dass die Gerichte zu politischen Entscheiden kommen, liegt darin, dass zwischen Exekutive und Legislative keine Gewaltenteilung existiert.

    Es wird durch das Koalieren der Parteien mit minderwertigerem Vertragsrecht das Wahlrecht im Verfassungsrang ausgehebelt. Damit wird eine künstliche Mehrheit gebildet, die als Regierung im Bundestag, dem Herzen der Gesetzgebung, nicht nur Sitz, sondern auch noch volles Stimmrecht hat. Damit kommt jede politische Entscheidung bereits im Kanzleramt zustande. Die Opposition darf zwar sprechen, aber sie könnte niemals etwas korrigieren, sie könnte ja niemals eine Mehrheit zusammenbringen – nur über die Justiz. Damit ist der Bundestag reinste Schauspielerei – ein Scheinparlament.

    Wenn die Opposition vor das BVerfG zieht, gibt sie ihr höchstes Recht direkt an ein Gericht ab. D.h. das letzte Wort in politischen Fragen haben damit acht Personen. Das BVerfG befasst sich nicht mit Rechtsprechung, sondern mit Gesetzgebung – es ist nicht Justiz, sondern Politik. Und auch darum, weil das BVerfG keine Fristen kennt. Etwas das der Inbegriff jeder Justiz ist.

    Fazit: Würde es eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative geben, wäre ein Verfassungsgericht gar nicht nötig. Darum nicht, weil die Gesetze dermassen gut sein müssen, dass sie allen gleichberechtigten Gesetzgebern genügen müssen.

    Die Schweiz macht’s vor. Und das hat überhaupt nichts mit Volksabstimmungen zu tun. Im Gegenteil, die Gesetzgeber haben die Oberaufsicht über das Bundesgericht und nicht umgekehrt. Die Justiz hat nur das Recht, Recht nach den viel präziseren Gesetzen zu sprechen und nicht in jede Richtung auslegbare Verfassungsartikel.
    Und die Rechte des Volkes und der Kantone stehen noch darüber, dass eben das Volk der Souverän ist und nicht Recht, Verfassung oder das Gericht dazu.

    Der Art. 146 GG würde es möglich machen – es gibt keine Verfahren dazu. Es gilt was da steht. Und jeder darf, weil es keine GG-Änderung ist. Wer dazu gar nichts zu sagen hätte wäre ein Gericht.

    Gruss aus der Schweiz

    1. Hallo Herr Leutwyler,

      schön von Ihnen zu hören und vielen Dank für Ihren fundierten Kommentar.

      Die von Ihnen beschriebene fehlende „wirkliche“ Teilung zwischen Legislative und Exekutive sehe ich auch. Und die Grenzen zur Judikative verschwimmen leider nunmehr auch.

      Allerdings halte ich die von Ihnen genannte „Medizin“ aus der Schweiz auch nur für bedingt geeignet: Ich weiß nicht, ob der Bundesrat tatsächlch die Aufsicht über die Gerichte führt. Das wäre dann tatsächlich ein Bruch der montesquieschen Gewaltenteilung – die ich nicht teilen würde. Aber auch in Deutschland habe wir ja das Problem, das Bundesrichterstellen „politisch“ besetzt werden. Die „Schlachten“ um solche Benennungen haben wir gerade in den USA gesehen. Nicht schön. Die Judikative muss in meinen Augen völlig unabhängig von Legislative und Exekutive agieren können. Meines Erachtens dürften sowieso nur Anwälte nach mehrjähriger Berufstätigkeit Richter werden. Damit es keine „Inzucht“ der Richter gibt, sollten in die Wahlausschüsse auch die – per Los bestimmten – Schöffen, also ehrenamtliche Richter auf Zeit – aufgenommen werden, die dann auch über die Erstbestellung der Richter und die nachfolgende „Karriere“ mitentescheiden.

      Aber weder Parteien noch die Regierung haben in der Judikative auch nur einen Hauch zu suchen. Vielmehr sollte die Judikative auch ihren eigenen Haushalt aus den Gerichtskosten erhalten.

      Ich weiß, ich bin als Anwalt Teil des Systems und deswegen etwas voreingenommen. Aber ich sehe seit JAhren eine zunehmende Politisierung der Justiz – gerade in Bayern (Fall Mollath), aber nicht nur dort. Und das wird uns auf Dauer allen schaden…

      Viele Grüße,

      -tz

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