Fog of War – 5. August 2022 – Tag 163

Heute ist nicht nur der 163. Tag des Kriegs in der Ukraine, heute ist auch ein Tag, an dem ich ein ganz klein wenig von der Hoffnung zurückgewonnen habe, die ich am 25. Februar diesen Jahres verloren hatte (hier). Grund ist ein Interview von Herrn Ralf Fücks im Stern, das ich auf Twitter zunächst nur so nebenbei angeklickt hatte. Ich habe die letzten Stunden nicht nur mit dem mehrfachen Lesen des Interviews verbracht, sondern auch über den nachfolgenden Text gebrütet und habe entschieden, dass es heute nur einen Link in diesem FoW geben wird. Das Interview ist so wichtig, da haben alle anderen Meldungen Zeit bis Montag. LESEN (!!!!) Sie selber:

Fücks: https://www.stern.de/gesellschaft/ralf-fuecks-im-interview–ueber-den-ukraine-krieg–putin-und-die-deutsche-linke-31680838.html  

Am liebsten würde ich das gesamte Interview abtippen, so gut und wichtig ist es. Ein paar zentrale Auszüge müssen aber reichen:  

Meine Position ist: Ich will nie wieder einen Angriffskrieg aus Deutschland, nie wieder Krieg als Mittel imperialer Politik. Aber aus der Erfahrung von Krieg und Völkermord erwächst auch die Verpflichtung, denen zur Seite zu stehen, deren Leben und Freiheit bedroht sind. Auschwitz wurde ja nicht durch gewaltlosen Widerstand befreit, sondern durch militärische Gewalt.“  

Wir sehen, wie Väter sich auf Bahnhöfen von ihren Kindern verabschieden, um an die Front gehen. Sie wissen nicht, ob sie einander je wiedersehen. Davor Respekt zu empfinden, dass Menschen bereit sind, ihr Leben zu riskieren für eine größere Sache, für die Verteidigung der Freiheit und Selbstbestimmung ihrer Nation – das müssen wir erst mal an uns rankommen lassen. Eine unserer Töchter ist mit einem Israeli verheiratet und lebt in Jerusalem. Da war immer klar, dass man bereit sein muss, im Notfall zu kämpfen, weil es sonst Israel gar nicht mehr geben würde. Wer militärisch erpressbar ist, der ist auch politisch erpressbar. Ich glaube, dass die neue Wehrhaftigkeit, die jetzt von uns verlangt wird, die Entschlossenheit auch in militärische Verteidigung zu investieren, dass all das am Ende sogar das beste Mittel ist, um den Krieg zu verhindern.“  

Die Distanz zu Gewalt, die Wertschätzung jedes einzelnen Menschenlebens und auch das Erschrecken über die Brutalität des Krieges, das sind alles zivilisatorische Fortschritte. Die Frage ist, ob wir es schaffen, humanitäre Sensibilität mit Wehrhaftigkeit zu verbinden, ja, ich riskiere jetzt mal den Begriff: sogar mit der Bereitschaft, Opfer zu bringen.“  

Aber es braucht eine neue Entschlossenheit, unsere freiheitliche Lebensform zu verteidigen, für Menschenrechte und die Geltung des Völkerrechts einzutreten. Notfalls auch militärisch.“ (Ralf Fücks, Stern) 

Dies ist die Quintessenz allen militärischen Seins in einem freiheitlich-demokratischen – vulgo humanistischen – System. Das Aushalten der Unmenschlichkeit des Krieges – ohne selbst unmenschlich zu werden und die Bereitschaft, eigene Opfer zu bringen für die Freiheit der Seinen.    

BdL: Dieses Interview hat mich noch viel mehr aufgewühlt, als das Interview von Herrn Gauck bei Herrn Lanz neulich (erneut hier, ANSEHEN! Bei mir hier, kommentiert). Seit 33 Jahren diene ich als Soldat und Reserveoffizier und zwar genau aus den von Herrn Fücks hier so prägnant formulierten Gründen. Ich habe immer wieder gezweifelt (und tue es bis heute) und ich gebe mich keinen Illusionen über den Zustand der Bundeswehr hin.  

Wenn Sie aber nach 33 Jahren – sozusagen von der politischen „Gegenseite“ – bescheinigt bekommen, dass Ihre Einstellung (neudeutsch: „Haltung“) zur Verteidigung des eigenen Landes so falsch nicht ist – und auch schon zu Zeiten, als Sie wohlmeinende Menschen als leicht bekloppt und weniger wohlmeinende als „Mörder“ bezeichnet haben, nicht war – dann macht das was mit Ihnen. Mich hat es gerade schlicht emotional weggeblasen. Da ist dann der Rest zumindest für den heutigen Tag nicht mehr ganz so wichtig.  

Das Interview bezieht sein Gewicht auch gerade aus der reflektierten Haltung von Herrn Fücks – der seine eigenen Entwicklungsschritte vom Mao-Anhänger zur jetzigen Haltung schlüssig darstellt („Wenn man die Geschichte der Linken kritisch reflektiert, verliert man zumindest das chronisch gute Gewissen – die Überzeugung, dass man immer auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden hat.“). Das ist menschliche Größe und offenbart eine innere Reifung, die ich fast mit Neid betrachte.  

Augenöffnend waren für mich zudem die Äußerungen zu den möglichen Gründen der Antipathie der Linken / Friedensbewegung gegen „die Amerikaner“. Der „Bombenterror“ im zweiten Weltkrieg als Auslöser klingt so unschlüssig nicht. Ein Beweis mehr, wie wichtig seinerzeit die Rede von Richard von Weizsäcker zur „Befreiung“ (sic!) der Deutschen 1945 war (hier), aber auch, wie wenig sie eigentlich (bis jetzt?) bewirkt hat. In meiner Familie überwog die positive Einstellung gegenüber den Amerikanern, so dass ich vom Anti-Amerikanismus verschont blieb. Genau so wenig, wie ich mir allerdings Illusionen über den Zustand der Bundeswehr mache, so wenig sehe ich die USA durch die rosarote Brille. Aber das bis jetzt anhaltende Amerika-Bashing vieler Linker hat sich mir nicht erschlossen – bis jetzt.  

Die jüngsten Statements von Herrn Fücks und Herrn Gauck zeigen mir, dass ich mit meinen Einstellungen und Gedanken scheinbar nicht nur nicht alleine bin, sondern auch, dass sie so falsch nicht sind – auch wenn ich weder in intellektueller Tiefe noch in Formulierungsgabe den beiden Herren das Wasser reichen kann. Das gibt mir etwas von der Hoffnung zurück, die ich am 25. Februar 2022 verloren habe (s. dazu erneut hier). Vielleicht schaffen wir es in Deutschland doch noch, den Wert unserer Freiheit zu begreifen und zu verstehen, dass wir ALLE ALLES dafür tun müssen, damit sie uns erhalten bleibt. Und erst Recht, dass wir alle Völker, die nach Freiheit streben, mit ALLEN MITTELN unterstützen müssen.  

Spruch des Tages: „Si vis pacem para bellum“ – Ralf Fücks 

Keep Calm & Carry on 

-tz 

& BTW: Путин, иди на хуй! 

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