In totaler Unterschätzung der Auswirkungen, die Corona auch auf meinen Arbeitsumfang haben würde, hatte ich im Begleitartikel zur Veröffentlichung meiner usprünglichen Jahresprognose (hier) ein Update für „Mitte / Ende April“ angekündigt. Nachdem ich überhaupt erst eine Rohversion Ende Mai fertigstellen konnte, erschien im Juni Dank des Einsatzes der ZInsO (vielen Dank, Herr Prof. Dr. Haarmeyer und dem gesamten Team!) dann doch das Update zur Prognose.
Zusammenfassend gehe ich darin davon aus, dass wir uns alle glücklich schätzen können, wenn das BIP in diesem Jahr „nur“ um 10% einbricht. Und das auch nur, weil die Staatsverschuldung in nie gekanntem Ausmass gesteigert wird, um den Crash abzumildern. Eine Insolvenzwelle erwarte ich gleichwohl nicht, da die Politik die damit verbundenen „Opportunitätskosten“ in Form aufgebrachter Wähler scheuen wird. Sprich bei nachlassender Wirtschaftskraft werden die Insolvenzen gleichwohl nicht oder nur wenig steigen – vielleicht sogar übers Jahr gesehen sinken. Damit tritt Deutschland insgesamt in die Fusstapfen Italiens – wir erleben derzeit die „Zombifizierung“ der Wirtschaft. Dieses Hinauszögern der Schumpeter’schen „kreativen Zerstörung“ dürfte sowohl auf volks- als auch betriebswirtschaftlicher Ebene langfristig verheerende Wirkungen zeitigen.
Und das ist das Basisszenario. Sollte sich – was in dieser Situation sogar wahrscheinlicher ist, als in einer „normalen“ Lage – auch nur eines der Risiken – wie etwa das von Cyber-Angriffen (ich sage nur WannaCry) oder (über-) regionaler Konflikte zuspitzen, dann wäre selbst dieses Szenario nicht zu halten.
Bereits jetzt ist zudem offensichtlich, dass Corona über einen „schlichten“ Konjunkturabschwung hinaus als Katalysator und Brandbeschleuniger für sich bereits seit Jahren abzeichnende Prozesse wirken wird. In Bezug auf den Ausgang dieser Prozesse ist aber nur sicher, dass die bisherige Sicherheit des nach der Finanzkrise eingetretenen „New Normal“ nicht mehr gilt.
Dieser Bruch wirft Fragen mit hoher gesellschaftlicher Brisanz auf, die über 2020 hinaus einer Antwort harren werden: Folgt auf das „wirtschaftliche Biedermeier“ nun das Zeitalter des „Neofeudalismus“ oder kommt es zu einer „Renaissance bürgerlicher Werte“? Werden wir demnächst in einer von Großkonzernen regierten Welt leben oder beendet die sich derzeit verstärkende De-Globalisierung auch den Triumphzug dieser Giganten und Einhörner? Ist die Pandemie der gefürchtete „Minsky-Moment“ und folgt die „Rückabwicklung“ der auch durch das Credo des „Shareholder Value“ verursachten „Financialisation“ oder sind die Hilfspakete doch nur eine weitere Stufe in einer kontrollierten Geldmengenausweitung bei Anwendung der „Modern Monetary Theory“?
Letztendlich gilt damit auch hier: nach der Prognose ist vor der Prognose… sprich ich sitze ab Anfang August an der Prognose für 2021 und versuche, selber Antworten auf diese Fragen zu finden.
„2020 – Cassandras Update“, ZInsO 2020, 1333
(Schicke ich dem geneigten Leser gerne auf Anfrage zu)