Zu meinen, dass man nach zwei Wochen kompletter Abstinenz von Nachrichten und Social Media sofort wieder „up-to-date“ sein und eine entsprechend sinnhafte Analyse des aktuellen Kriegsgeschehens verfassen kann, zeugt hoffentlich nur einer gewissen Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten. In diesem Sinne begrüße ich Sie um einen Tag verspätete zu einem nun noch knapp zweiwöchigen Intermezzo (zwischen zwei Urlauben) zu einem erneuten Blick in die Ukraine.
Auch im Rest der Welt herrschte in den letzten zwei Wochen nicht gerade Sommerflaute: Die USA haben einen weiteren Al-Quaida-Anführer in AFG zur Strecke gebracht (hier), im Kosovo gab es Unruhen (hier, aber scheinbar wieder abgeflaut, hier), Nordkorea drohte Südkorea (und natürlich den USA, hier), und aktuell zoffen sich Taiwan und China wegen eines möglichen Besuchs der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi auf der Insel (hier und hier).
Lage: https://twitter.com/DefenceHQ/status/1554326205289095171
https://www.understandingwar.org/backgrounder/russian-offensive-campaign-assessment-august-1
https://www.n-tv.de/politik/Briten-Russland-kommt-im-Donbass-kaum-voran-article23498912.html
Wie schon unschwer daran zu erkennen ist, dass sich die Ortsnamen der heutigen Meldungen (zumindest an der Ostfront) wenig bis gar nicht von denen von vor über zwei Wochen unterscheiden (hier), kann die RUS Armee nur geringe Landgewinne verzeichnen. Da nunmehr auf Grund der laufenden Gegenoffensive im Raum Kherson die RUS Armee Truppen aus dem Osten der UKR in diese Region verschieben muss, dürften die Landgewinne in nächster Zeit noch abnehmen. Ob die vorgeblichen Landgewinne der UKR um Kherson nachhaltiger Natur sind, muss sich aber auch noch zeigen.
Ryan: https://twitter.com/WarintheFuture/status/1553973368809918464?t=wBA27AUmQHfeoW8rt1cZjQ&s=03
Bereits mehrfach habe ich an dieser Stelle den ex-AUS-General Mick Ryan mit seinen Analysen zitiert (zuletzt hier). Auch seine jetzige Lageanalyse zur „Korrosions-Strategie“ der UKR Kräfte teile ich. Die Lieferung westlicher Artilleriesysteme (HIMARS, PzHbtze 2000 und jetzt auch Mars-II-Raketenwerfer, hier, s. für einen Kräftevergleich RUS/UKR Artilleriefähigkeiten auch hier) ermöglicht der UKR-Armee eine Kriegsführung tief hinter den RUS Linien. Hierdurch können Logistik und Kommunikation der RUS Truppen empfindlich gestört werden.
Zwar nur anekdotische Evidenz, aber dafür sehr anschaulich. Wenn die Schilderungen auch nur annähernd stimmen, dürfte die RUS Kampfkraft unabhängig von den tatsächlichen Verlustzahlen nicht mehr sehr hoch sein.
BdL: Wenn sich die köchelnden Konflikte gerade in Asien so weiter entwickeln, könnte der Krieg in der UKR relativ zügig an den Rand des Nachrichtengeschehens gedrängt werden. Und das will einiges heißen. Derweil könnte sich das Blatt des Kriegsgeschehens – auch durch die zwischenzeitich im wahrsten Sinne des Wortes „durchschlagende“ Wirkung der nach langem Zögern gelieferten westlichen Artilleriesysteme – zugunsten der UKR wenden. Auch wenn die Meldungen über geringe Geländegewinne der RUS Armee und der Rückeroberung von 46 Siedlungen durch die UKR Kräfte im Süden des Landes mit mehr als einer Prise Vorsicht genossen werden müssen, so kann man jedoch nicht mehr von einer RUS Vorwärtsdynamik sprechen. Erneut ist der Krieg statisch, diesmal aber scheinbar mit Vorteilen für die UKR. Aber auch die UKR selber gehen nicht von einer schnellen Entscheidung aus, wenn sie davon ausgehen, dass sie „vielleicht bis Ende nächsten Jahres gewinnen werden“ (hier). Auch wenn sich die weltweiten Krisenherde also nicht weiter erhitzen sollten, so können wir doch davon ausgehen, dass uns dieser „Schauplatz“ noch länger erhalten bleibt. Denn zu einem „Halten“ der Front dürfte auch eine geschwächte RUS Armee noch länger in der Lage sein.
Spruch des Tages: „Societies are far gone in depravity when toleration is considered a good in itself, without regard to the thing tolerated.“ – A.K. Chesterton
Keep Calm & Carry on
-tz
& BTW: Путин, иди на хуй!